Post-COVID-Syndrom (PCS)
Das Post-COVID-Syndrom (PCS) wie auch andere postvirale Syndrome sind chronische Multisystemerkrankungen, die nach akuten Virusinfekten auftreten. Analog zu vielen anderen Infektionserkrankungen (z.B. Eppstein Barr Virus) kann es auch nach einer SARS-CoV-2 Infektion postinfektiös zu möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen kommen, welche verschiedene Organsysteme betreffen können und auf keine einheitliche Ursache zurückzuführen sind. Die Pathogenese ist noch unzureichend geklärt, auch die Symptomschwere kann Fluktuationen unterliegen (AWMF. S1-Leitlinie Long/Post-Covid).
Definitionen
Weltgesundheitsorganisation
Im Jahr 2021 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine vorläufige Falldefinition des Post-COVID-Syndroms (PCS). Gemäß dieser Definition für Erwachsene werden unter dem Begriff "Post-COVID-19-Syndrom" gesundheitliche Beschwerden zusammengefasst, die drei Monate nach einer SARS-CoV-2 Infektion vorliegen und anderweitig nicht erklärbar sind. Die Symptome müssen seit mindestens zwei Monaten bestehen, können Folge der akuten Infektion sein oder aber nach initialer Besserung neu aufgetreten sein. Alltägliche Aktivitäten werden dadurch eingeschränkt. Symptome können im Zeitverlauf fluktuieren. Die Falldefinitionen der WHO inkludieren sowohl Personen mit Labornachweis einer SARS-CoV-2-Infektion als auch auf Personen, die aufgrund von Krankheitssymptomen oder auch engen Kontakten zu nachweislich Infizierten als wahrscheinlich infiziert galten. Die WHO weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich um vorläufige Falldefinitionen handelt, die in Anpassung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse fortlaufend aktualisiert werden müssen (WHO, 2021). Bisher ist eine weitere Aktualisierung allerdings noch nicht erfolgt.
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Für das Krankheitsbild besonders relevant sind die S1-Leitlinie Long /Post-COVID der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; eine Aktualisierung auf S2k-Niveau erfolgt Ende 2025) sowie die S2k Leitlinie COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation. Beide definieren das Post-COVID-Syndrom analog zur WHO-Falldefinition.
Als Long COVID wird ein Fortbestehen oder Neuauftreten gesundheitlicher Beschwerden über den Zeitraum von vier bis zwölf Wochen nach der akuten SARS-CoV-2 Infektion definiert. Als Post-COVID wird ein Fortbestehen der gesundheitlichen Beschwerden über 12 Wochen hinaus definiert.
Die Begriffsdefinition erfolgt primär über den zeitlichen Faktor. In wissenschaftlichen Publikationen sowie medialer Berichterstattung werden die Begriffe Long bzw. Post-COVID häufig weniger scharf getrennt. Die Deutsche Rentenversicherung nutzt analog zur WHO-Falldefinition den Begriff Post-COVID-Syndrom (PCS). Trotzdem bleibt anzumerken, dass diese Definition vor allem das pragmatische Ziel verfolgt hat, ein großes Patientenkollektiv zusammen zu fassen. Dies bildet allerdings nicht das sehr heterogene Erscheinungsbild dieser Erkrankungen ab.
Prävalenz
Die realistische Zahl der Long-/ Post-Covid Betroffenen in Deutschland und international kann wissenschaftlich bislang nicht verlässlich geschätzt werden (Bundesgesundheitsministerium, 2022). Die Prävalenz von PCS unterliegt je nach Studie großen Schwankungen. Bei Studien zur Prävalenz muss klar differenziert werden, wie die Studienteilnehmer rekrutiert wurden, zu welchem Zeitpunkt der Pandemie die Studie durchgeführt wurde (Virus-Variante und Impfstatus), wie lange die initiale Infektion zurücklag und welche diagnostischen Kriterien verwendet wurden. Beste Ergebnisse werden durch bevölkerungsrepräsentative Studien erreicht, bei denen eine Kontrollgruppe mitgeführt wird. Vielen Studien fehlt die Kontrollgruppe, eine Rekrutierung nach Krankenhausentlassung oder öffentliche Aufrufe können dazu führen, dass die Prävalenz überschätzt wird. Studienergebnisse legen nahe, dass die Alpha- und Delta-Varianten häufiger PCS auslösen als die Omikron-Variante (Antonelli, M. et al., 2022). Die Impfung bietet einen Teilschutz (Ayoubkhani, D. et al., 2022; Nayyerabadi, M. et al., 2023). Daher hat der Zeitpunkt der Studie einen erheblichen Einfluss auf den Outcome. Daten aus einer niederländischen bevölkerungsrepräsentativen Kohortenstudie konnten darlegen, dass nur bei jedem achten Erwachsenen die PCS-typischen Symptome auf die SARS-CoV-2-Infektion zurückgehen (Ballering et al., 2022). Eine umfangreiche Metaanalyse aus Großbritannien (Thompson et al., 2022) spricht von einer Prävalenz der Alltagseinschränkungen bei Post-COVID zwischen 1,2 % und 4,8 %. In einer schwedischen retrospektiven Kohortenstudie mit knapp 590.000 Personen lag die Prävalenz bei geimpften Personen bei 0,4 % und bei 1,4 % bei ungeimpften Personen (Lundberg-Morris, L. et al., 2023).
Pathogenese
Die Pathogenese postakuter Infektionssyndrome ist noch nicht abschließend geklärt.
Es werden hier beispielhaft die am häufigsten diskutierten Pathomechanismen benannt.
Persistierende Gewebeschäden
Infektionen können in den verschiedenen Organen des Körpers direkte Schäden verursachen, insbesondere an Organen mit hohem Energiestoffwechsel und dichter Vaskularisierung. Wenn diese Schäden der Akutinfektion nicht komplett abheilen, können sie zu anhaltenden Symptomen führen. Zum Beispiel werden Bindungsstellen für SARS-CoV-2 auf retinalen Zellen exprimiert, welche dadurch langfristige Schäden nehmen können (Acharya, S. et al., 2020).
Persistierende Virusbestandteile
In zahlreichen Studien mit Patient*innen mit leichten und schweren Verläufen der SARS-CoV-2 Infektion konnte eine deutlich verlängerte Viruspersistenz gezeigt werden (Carmo, A. et al., 2020). Eine verlängerte oder persistente Viruslast ist von anderen Viruserkrankungen bereits bekannt (z.B. Masern). Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass die Immunantwort dieser Patient*innen nicht für den vollständigen Abbau der Virusbestandteile ausreicht (Wang, X. et al., 2020).
In einer amerikanischen Querschnittsstudie mit 275 Teilnehmern deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass persistierende SARS-CoV-2-Virusantigene, die Reaktivierung von anderen latenten Viren (z.B. Herpesviren) induzieren und damit zu einem PCS beitragen können (Klein, J. et al., 2023).
Hyperinflammation
Bei einem Teil der Patienten entwickelt sich in der späten Erkrankungsphase ein Hyperinflammationssyndrom, das an eine sekundäre (virusgetriggerte) hämophagozytische Lymphohistiozytose (sHLH) erinnert und einen prolongierten Verlauf zeigen kann (RKI, DOI 10.25646/7037).
Autoimmunvorgänge
Durch entstandene Gewebeschäden und eine etwaige Viruspersistenz ist die Immunantwort des Körpers in einer Art Überaktivierung und richtet die Abwehr dann gelegentlich auch gegen körpereigene Zellen. Ein Mechanismus dabei könnte der Zytokinsturm oder die fehlende Monozytenregulation bei akuten Virusinfektionen sein (Klein, J. et al., 2023). Bei diversen Hirnstrukturschädigungen kommt es zu einer reaktiven autoimmunologischen Modifikation der Nervenzellen und der umgebenden cerebralen Gefäße (Douaud, G. et al., 2022; Franke, C. et al., 2023). Übermäßiger Stress kann ebenso die Schutzfunktionen des Körpers kompromittieren und über eine Fehlanpassung der neuroendokrinen Stressreaktionssysteme zu einer viruspermissiven Immunantwort beitragen (Peters, E.M. et al., 2021).
Bei Patienten mit PCS können außerdem verringerte Cortisolspiegel vorliegen (Klein, J. et al., 2023); dies wirkt sich weiter negativ auf das Immunsystem und ablaufende Entzündungsprozesse aus.
Gestörte Koagulopathie
Eine weitere Hypothese ist die Schädigung der Endothelzellen durch Viren(Bestandteile), mit der Folge der verstärkten Thrombenbildung. Diese Thromben können dann in alle End-strombahnen gelangen und die Hämodynamik des entsprechenden Organs einschränken.
Gestörte Mitochondrienfunktion
Viren können Mitochondrien befallen und die Funktion schädigen. Neben dem veränderten Stoffwechsel der Mitochondrien selbst hat dies Einfluss auf die Adenosin-Triphosphat (ATP)-Homöostase. Je weniger ATP in der Folge gebildet wird, umso schneller sind die ATP abhängigen Zellen erschöpft. Konsekutiv folgt dann u.a. eine erhöhte Ausschüttung von Sauerstoffradikalen, welche zu Zellschäden führen. Das Symptom der Belastungsintoleranz ist möglicherweise ebenfalls auf eine gestörte Mitochondrienfunktion zurückzuführen, dies ist aktuell Gegenstand mehrerer Forschungsprojekte (Prasada Kabekkodu, S., 2023).
Allgemeine Anamnese
Das PCS ist eine Ausschlussdiagnose. Häufige PCS-Symptome überlappen sich stark mit Symptomen anderer chronischer Krankheitsbilder. Des Weiteren bereitet es Schwierigkeiten, eine Verstärkung vorher nicht diagnostizierter Erkrankungen zu erkennen. Die detaillierte Anamnese umfasst somit auch die Herausforderung, eine möglichst genaue differentialdiagnostische Abgrenzung zu treffen. Die folgende Aufzählung zeigt beispielhaft Fragen, welche im Rahmen der krankheitsspezifischen Anamnese zu klären sind.
- Wann war die auslösende Infektion?
- Ist die Infektion nur über einen Antigen-Test nachgewiesen oder mittels polymerase chain reaction (PCR) verifiziert worden?
- Wie ist der bisherige Verlauf der Symptomatik (Symptombeginn, Symptomwechsel, Symptomtrigger, Symptomstärke)?
- Welche Bewältigungsstrategien zur Kompensation der Symptome sind vorhanden (Ressourceneinsatz, Fremdhilfe)? Welche Therapeuten wurden aufgesucht, welche Therapien durchgeführt (Physio-/ Ergotherapie, Psychotherapie, Schmerztherapie, Spezial-Ambulanz, Selbsttherapie)?
- Erfolgte eine medizinische Rehabilitation (wenn ja, wann, in welcher Indikation und wie lange)?
- Welche Therapieeffekte sind vorhanden (Verbesserung, Verschlechterung, Therapie- und/ oder Therapeutenwechsel)?
- Welche Aktivitäten können beruflich und privat (noch) ausgeführt werden?
- Welche Einschränkungen gibt es bei den Alltagsverrichtungen?
- Wie sieht ein üblicher Tagesablauf aus? Liegt Arbeitsunfähigkeit vor und wenn ja, in welchem Zeitraum?
- Wird/ wurde zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit Überstundenabbau oder Urlaub eingesetzt oder die Stundenzahl reduziert?
- Wurde der Arbeitsplatz angepasst/ geändert, um einer geringeren Belastbarkeit Rechnung zu tragen?
- Sind hierzu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) beantragt worden?
- Ist eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt worden?
- Link zu allgemeiner Anamnese
Anamnese der häufigsten Symptome
Aufgrund der Symptomheterogenität und dem nötigen Ausschluss einer Vielzahl anderer Erkrankungen ist häufig eine fachspezifische Anamnese notwendig. Die Art der Symptome und auch die Symptomstärke sind interindividuell sehr unterschiedlich. Die individuellen Krankheitsverläufe zeigen schubweise und wechselnde Verläufe.
Belastungsintoleranz (Post-exertionelle Malaise)
Unter Post-exertionelle Malaise (PEM) versteht man die Verschlechterung des allgemeinen körperlichen Zustandes nach körperlicher und/ oder geistiger Anstrengung (Holtzman, C.S. et al., 2019). PEM kann unmittelbar nach einer ausgeführten Aktivität oder mit zeitlicher Latenz von mehreren Stunden bis Tagen auftreten. Bei einem rapiden Abfall des aktuellen Leistungsniveaus sprechen Betroffene auch von einem "Crash". Die Beschreibungen der Patient*innen reichen dann von Krankheitsgefühl, über Schmerzen, kognitiven Einschränkungen bis hin zu orthostatischen Reaktionen, u.a. ( Mclaughlin, M. et al., 2023).
Abhängig vom Schweregrad der Betroffenen sind individuell unterschiedliche Aktivitäten und Reize der Trigger für PEM. Sollte PEM auftreten, so muss dokumentiert werden, nach welcher Belastung dies auftrat, wie häufig sie auftrat und wie lange der Zustand andauerte. Zusätzlich muss dann eine Untersuchung auf Myalgische Enzephalomyelitis/ das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/ CFS) anhand international anerkannter Kriterien erfolgen.
Bislang ist die Studienlage zu PEM bei PCS ungenügend, bisherige Daten beruhen auf Selbsteinschätzungsbögen, teilweise ohne einen Arzt-Patientenkontakt (Pagen, D.M.E. et al., 2023; Twomey, R. et al., 2022).
Bei Patient*innen, die sich krankheitsbedingt geschont haben, ist die schnellere Erschöpfbarkeit ein häufiges Symptom. Die Beobachtung und Interpretation normaler Erschöpfung als PEM führt zu dysfunktionalem Verhalten. Dies meint ein vermeidendes Verhaltens, welches den Gesamtzustand weiterhin reduziert durch Konditionsverlust und entstehende Ängste. Die Unterscheidung sollte zusammen mit den Patient*innen erarbeitet werden, um normale Erschöpfung zu entkatastrophisieren.
Fatigue
Fatigue kann als Folge von Infektionen (z. B. dem Cytomegalovirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV), Herpesvirus und SARS-CoV-1) oder chronischen Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose oder onkologischen Erkrankungen) als unspezifisches Symptom auftreten.
Fatigue ist eine einschränkende, zu den vorausgegangenen Anstrengungen unverhältnismäßige, sich durch Schlaf oder Erholung nicht ausreichend bessernde subjektive Erschöpfung auf somatischer, kognitiver und/ oder psychischer Ebene. Die U.S. Library of Medicine definiert Fatigue folgendermaßen: "Fatigue ist ein Gefühl von Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder Energiemangel". Da es sich hierbei um ein Gefühlserleben handelt, ist die Fatigue nicht im klassischen Sinne messbar, sondern nur abbildbar (Benzi, M., 2013). Es muss dabei beachtet werden, dass aktuell eine Häufung dieses Symptoms in der Allgemeinbevölkerung zu beobachten ist. Eine Metaanalyse (Rao, S., et al., 2022) zur Prävalenz der Fatigue zeigte eine Häufung generell in Europa und beim weiblichen Geschlecht. Außerdem zeigte sich eine höhere Prävalenz der Fatigue, wenn die befragten Patient*innen über die sozialen Medien kontaktiert bzw. gesucht wurden (Brogardh, E., 2024).
Kognitive Einschränkungen
Kognitive Einschränkungen repräsentieren einen Symptomkomplex, der auf verschiedene Gehirnfunktionsstörungen hinweisen kann. Sie gehen mit kognitiven und mentalen Leistungseinschränkungen einher. Von Betroffenen wird dies häufig als Brain Fog (Gehirnnebel) bezeichnet. Auch hier ist eine genaue anamnestische Abklärung der Symptome unerlässlich, um die einzelnen Symptome korrekt einzuordnen und eine entsprechende Behandlung zu initiieren. Es sind vor allem Fähigkeiten wie Konzentration, Wortfindung, Gedächtnisleistung, Informationsverarbeitung, Reaktionsgeschwindigkeit, Ausblenden von externen Reizen und Planung betroffen.
Schlafstörungen
Aktuellen Studien zufolge (Merikanto, I., et al., 2023) treten Schlafstörungen etwa bei jeder zweiten an PCS erkrankten Person auf. Schlafstörungen haben viele, auch längerfristige Effekte. Dazu gehören ein dysregulierter Schlaf-Wach-Zyklus, Insomnien und zentrale Hypersomnien. Häufig sind diese Schlafstörungen mit kognitiven Störungen vergesellschaftet. In einer kleinen, aber kontrollierten Studie wiesen über die Hälfte der PCS-Patient*innen ein Schlafapnoesyndrom auf (Jarosch, I., et al., 2024). Eine gezielte Schlafanamnese ist bei allen Betroffenen sinnvoll, da häufig weitere differentialdiagnostische Aspekte aufgedeckt werden, welche eventuell noch offenen Therapieoptionen bieten. Eine detaillierte Anamnese ist in der S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/ Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen (AWMF Leitlinien-Registernummer 063 - 003) aufgeführt.
Schmerzen
Schmerzen sind ebenfalls ein häufiges Symptom im Rahmen von PCS. Dabei können unterschiedliche Formen neu aufgetretener Schmerzen unterschieden werden:
- Kopfschmerzen (migräneartig, Spannungskopfschmerz, sekundär cerebrovaskulär) ist die häufigste Schmerzkategorie bei PCS (Uygun, O., et al., 2020).
- Muskel- und Gelenkschmerzen: in einer großen dänischen Studie wurde gezeigt, dass vor allem Alter, weibliches Geschlecht, höherer BMI, Stress, Typ-2-Diabetes und ein niedriger sozioökonomischer Status Risikofaktoren für muskuloskeletale Schmerzen darstellten (Ebbesen, B.D., et al., 2024).
- Neuropathische Schmerzen (Odozor et al., 2022).
Die detaillierte Anamnese von chronischen Schmerzen beschreibt die S1-Leitlinie Chronischer nicht tumorbedingter Schmerz (AWMF Leitlinien-Registernummer 053 - 036). Risikofaktoren von PCS-bedingten chronischen Schmerzen sind schlechter Schlaf, Inaktivität, Angst, Beklemmung und Depression. Zu den zugrundeliegenden prädisponierenden Mechanismen gehören genetische Faktoren, frühere Schmerzerfahrungen und traumatische Ereignisse oder Stressoren, die sich über viele Monate erstrecken (Clauw, D.J., et al., 2020).
Psychische Symptome
Auch lange Zeit nach der Infektion bestehen bei vielen Patient*innen psychische Symptome (Thye, A.Y., et al., 2022). Bei Frauen (Bucciarelli, V., et al., 2022), Patient*innen mit vorbestehenden psychischen Grundleiden (Matta, J., et al., 2022) und Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status (Poudel, A.N., et al., 2021) ist die statistische Wahrscheinlichkeit psychischer Symptome höher. Die häufigsten psychischen Symptome in Zusammenhang mit PCS sind (Mazza, M.G., et al., 2020) Depressionen, Angststörungen, Stresssymptome und Zwangsstörungen. Psychische Komponenten der Symptomatik systematisch und zeitnah zu identifizieren, lässt die Patient*innen von frühzeitig eingeleiteten psychologischen und psychiatrischen Interventionen profitieren (Hüfner, K., et al., 2022). Angaben für eine detaillierte psychische Anamnese listet die S2k-Leitlinie Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen auf (AWMF Leitlinien-Registernummer 051 - 029)
Kardiale und pulmologische Symptome
Unter dem Begriff PASC-CVD = "postacute sequelae of SARS-CoV-2 infection - cardiovascular disease" werden die kardiologischen Symptome zusammengefasst, welche in Zusammenhang mit PCS häufig auftreten (Dyspnoe, Brustschmerzen, Palpitationen, Tachykardien, Dekonditionierung, Hyperventilation, Husten (Gluckman, T.J., et al., 2022 )).
Nicht selten kommt es im Rahmen von PCS zu einem dysfunktionalem Atemmuster, welches mittels Spiroergometrie objektiviert werden kann (Samaranayake, C.B., 2023). Schwere Organschäden sind dabei nur bei schweren Akutverläufen der Infektion zu erwarten.
Vegetative Symptome
Dieser Symptomkomplex ist auf eine Irritation des autonomen Nervensystems zurückzuführen. Diese Symptome können für die Patient*innen sehr belastend sein, sind aber in der Regel nicht bedrohlich. Das dabei häufig beschriebene Posturale Tachykardie Syndrom (POTS) tritt gehäuft nach Infektionen auf und ist gekennzeichnet durch einen abnormalen Anstieg der Herzfrequenz während des Aufstehens. Weitere mögliche Symptome sind Schwindel, Schwitzen und Diarrhoen.
Diagnostik
Das PCS ist eine Multiorganerkrankung und dennoch eine Ausschlussdiagnose. Aktuell gibt es keine apparativen oder laborchemischen Marker, die das Vorliegen eines PCS ausschließen oder beweisen können. Die endgültige Diagnose setzt voraus, dass die relevanten Symptome nicht bereits vor der SARS-CoV-2-Infektion bestanden haben. Es sollte eine gezielte, ausführliche Befunderhebung erfolgen, wobei vor allem auf die seit der Infektion neu aufgetretenen oder veränderten Befunde eingegangen werden sollte. Für die Diagnose ist es deshalb entscheidend, andere Differenzialdiagnosen diagnostisch auszuschließen. Die aufgeführten Aufzählungen sind als Beispiele zu verstehen und müssen im individuellen Setting angepasst werden. Für detaillierte Informationen zu den spezifischen Diagnostikverfahren sei auf die jeweiligen Leitlinien der zugehörigen Fachgesellschaften verwiesen. Die in den Diagnostikempfehlungen genannten Testverfahren beruhen teilweise auf der Selbsteinschätzung der getesteten Personen und sind nicht für PCS validiert. Trotzdem sind diese Testverfahren Screening-Assessments zur sozialmedizinischen Beurteilung. Ergeben sich bei der Testung auffällige Befunde, muss die Diagnostik durch geeignete Beschwerdevalidierungsinstrumente ergänzt werden, die zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ebenfalls nicht für PCS validiert sind. Eine Diagnostik, welche allein auf Selbsteinschätzungsinstrumenten beruht, ist für eine sozialmedizinische Begutachtung nicht ausreichend.
Neurologische Diagnostik
Die neurologische Untersuchung bei Patient*innen mit Post-COVID-Syndrom verfolgt das Ziel, zentrale Funktionsstörungen systematisch zu erfassen und zu bewerten. Im Vordergrund stehen dabei häufig berichtete kognitive Einschränkungen, Fatigue (motorisch und kognitiv) sowie die post-exertionelle Symptomverschlechterung (PEM). Die Untersuchung dient der Identifikation, der Abgrenzung gegenüber anderen neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen sowie der Dokumentation funktioneller Einschränkungen im Alltag. Für eine Begutachtung sind grundsätzlich objektivierbare Befunde erforderlich. Eine allein auf Selbsteinschätzung beruhende Befundung ist nicht ausreichend.
Die körperlich-neurologische Untersuchung umfasst die Überprüfung der Hirnnervenfunktionen, Motorik, Sensibilität, Reflexstatus sowie der Koordination und des Gangbildes. Dabei gilt es, fokale Ausfälle oder Hinweise auf zentrale oder periphere strukturelle Läsionen zu erkennen oder auszuschließen. Besondere Beachtung finden psychomotorisches Tempo, Vigilanz, Auffälligkeiten im Sprachverhalten sowie vegetative Begleitzeichen. Die Untersuchung sollte stets an die Belastbarkeit der Patient*innen angepasst werden.
Für die initiale Einschätzung kognitiver Beeinträchtigungen empfiehlt sich der Einsatz standardisierter Screeningverfahren.
Screening-Test wie der Mini Mental Status oder der Uhrentest sind zum Screening wegen zu geringer Sensitivität ebenso wenig geeignet, wie der Montreal Cognitive Assessment (MoCA; Jöbges et al., 2025). Notwendig ist die Durchführung einer PC-gestützten ausführlichen Diagnoostik, wie z. B. TAB-Test oder CogBAT (Jöbges, M., et al. 2025).
Die Durchführung sollte unter standardisierten Bedingungen erfolgen, in einer reizarmen Umgebung und mit der Möglichkeit von Pausen bei Ermüdung. Bei auffälligen Ergebnissen oder bei anhaltender subjektiver Symptomlast sollte eine erweiterte neuropsychologische Testdiagnostik erfolgen. Dabei sollten insbesondere Aufmerksamkeitsleistung, Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie das Gedächtnis überprüft werden. Wiederholte Untersuchungen können notwendig sein, um Fluktuationen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf oder über mehrere Tage hinweg abzubilden, insbesondere unter dem Aspekt der PEM.
Die post-exertionelle Malaise (PEM) sollte durch strukturierte Instrumente dokumentiert werden, z. B. mittels des DePaul Symptom Questionnaire ( DSQ-PEM (PDF, 401KB, Datei ist nicht barrierefrei) , Doi: 10.3390/diagnostics8030066). Ergänzend können Patient*innen angeleitet werden, Belastungs- und Symptomtagebücher zu führen, um den Zusammenhang zwischen Aktivität und Verschlechterung zu verdeutlichen.
Ebenso sollte die Symptomatik der Fatigue differenziert erhoben werden. Hierbei ist zwischen körperlicher und kognitiver Fatigue zu unterscheiden. Die Patient*innen berichten häufig über eine anhaltende oder fluktuierende Erschöpfung, die in keinem angemessenen Verhältnis zur vorausgegangenen Aktivität steht und sich durch Ruhe nicht wesentlich verbessert. Die Fatigue kann ganztägig bestehen oder sich im Tagesverlauf verstärken. Typisch ist eine ausgeprägte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, ein erhöhter Erholungsbedarf sowie das Gefühl, alltägliche Aufgaben nur unter übermäßiger Anstrengung bewältigen zu können. Auch der subjektive Verlust von Motivation, Antrieb und Reaktionsvermögen sollte erfasst werden. Hilfreich kann hier die Fatigue-Skala (FS) sein.
Im Hinblick auf die Beurteilung des sozialmedizinischen Leistungsvermögens sollte immer versucht werden, die Fatigue im Sinne einer Fatigability zu quantifizieren. Unter Fatigability versteht man eine Ermüdbarkeit mit objektiv messbarer Leistungseinschränkung. Ergibt sich aus der Untersuchung ein unklarer oder pathologischer Befund, sollte ergänzende Diagnostik in Erwägung gezogen werden.
Eine kranielle MRT kann differentialdiagnostisch strukturelle Läsionen, entzündliche Veränderungen oder Atrophieprozesse sichtbar machen. Ein EEG kann hilfreich sein bei Symptomen wie Vigilanzstörungen, episodischen Verwirrtheitszuständen oder Verdacht auf epileptiforme Aktivität. In begründeten Fällen, insbesondere bei Hinweisen auf eine neuroinflammatorische Beteiligung, sollte eine Liquoruntersuchung erwogen werden. Zusätzlich können Laboruntersuchungen zur Abklärung von Mangelzuständen, endokrinologischen oder autoimmunologischen Ursachen beitragen.
Schmerzdiagnostik
Schmerzen gehören zu den häufig berichteten Beschwerden nach COVID-19 und können in verschiedenen Formen auftreten – darunter Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, neuropathische Schmerzen sowie ein generalisiertes Schmerzsyndrom mit Überlappung zu fibromyalgieähnlichen Zuständen. Ziel der Untersuchung ist es, Schmerzcharakteristika differenziert zu erfassen, relevante Differenzialdiagnosen auszuschließen und die funktionelle Auswirkung der Schmerzen auf Aktivität, Teilhabe und Lebensqualität zu dokumentieren. Ein besonderes Augenmerk sollte deshalb auf die Differenzierung zwischen nozizeptiven, neuropathischen und zentralen Schmerzanteilen gelegt werden. Standardisierte Fragebögen wie z.B. der PainDETECT können hier hilfreich sein. Ebenso ist die subjektive Schmerzbelastung zu erheben, etwa über eine numerische Rating-Skala (NRS) oder visuelle Analogskala (VAS), ergänzt durch schmerzbezogene Beeinträchtigungsskalen (z. B. Graded Chronic Pain Scale oder Brief Pain Inventory). Es existieren jedoch noch keine für PCS speziell validierten Testverfahren. Bei pathologischen Auffälligkeiten sind diese somit durch entsprechende Beschwerdevalidierungsinstrumente zu ergänzen.
Die körperlich-neurologische Untersuchung dient der Objektivierung möglicher neuroanatomischer Korrelate der Schmerzsymptomatik. Sie sollte systematisch sensomotorische Funktionen prüfen, insbesondere das Vorliegen von Hypästhesien, Hyperästhesien, Allodynie, Dysästhesien, Muskelatrophien, Paresen oder Reflexveränderungen. Eine orientierende Prüfung des Bewegungsapparats kann Hinweise auf myofasziale Schmerzursachen, Gelenkbeteiligungen oder Schonhaltungen geben.
Die Inspektion auf trophische Veränderungen, Zeichen neurogener Dysfunktion (z. B. Hautverfärbungen, Temperaturasymmetrien, Ödeme) sowie eine Palpation schmerzhafter Muskelareale (Triggerpunkte) sind sinnvoll, um strukturelle und funktionelle Schmerzursachen zu differenzieren. Auch eine einfache Quantitative Sensorische Testung (QST-light), z. B. mit Wattestäbchen, Temperaturreizen oder Vibration (Stimmgabeltest), kann zur Unterscheidung zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzformen beitragen. Das Schmerzverhalten – z. B. Schonung, Vermeidungsverhalten, Medikamentengebrauch, Katastrophisieren oder passives Coping - liefert ebenso wichtige Hinweise für die sozialmedizinische Bewertung. Besonders bei Überlappung mit Fatigue, kognitiven Störungen oder PEM ist auf das Zusammenspiel von Belastung, Schmerzintensität und Regenerationsfähigkeit zu achten. Schmerz kann sowohl Ausdruck einer somatischen Dysfunktion sein als auch eine sekundäre Folge chronischer Überforderung, Schlafstörung oder emotionaler Belastung. Eine bio-psycho-soziale Einordnung der Schmerzsymptomatik ist daher essenziell. Bei Verdacht auf eine neuropathische Genese kann eine Elektroneurographie (ENG) bzw. Elektromyographie (EMG) indiziert sein. In unklaren Fällen kann auch eine kleine Nervenfaserdichtemessung (z. B. durch Hautbiopsie) oder thermische Schwellenwertprüfung im Rahmen einer erweiterten QST erfolgen.
Die Small Fiber Neuropathie kann ebenfalls gehäuft im Rahmen von PCS, aber auch im Rahmen diverser anderer neurologischer Pathologien auftreten (Bandinelli, F., et al., 2025). Nur eine Hautstanze könnte diese Diagnose sichern. Eine kranielle oder spinale Bildgebung mittels MRT sollte bei Hinweisen auf zentrale Ursachen oder fokale Ausfälle erwogen werden. Laborchemisch sind insbesondere Entzündungsmarker, Autoantikörper, Vitaminstatus (z. B. B12, D) sowie Schilddrüsen- und rheumatologische Parameter von Interesse.
Psychische Diagnostik
Häufige Symptome wie Ängste, depressive Verstimmungen, Antriebsverlust und kognitive Überforderung können sowohl Ausdruck primärer psychischer Erkrankungen als auch sekundär reaktive Phänomene im Rahmen chronischer körperlicher Beschwerden sein. Ebenso gilt es, potenziell bestehende somatoforme oder funktionelle Syndrome einzuordnen und zu benennen, ohne die zugrunde liegende somatische Symptomatik zu entwerten. Die Diagnostik orientiert sich an einem bio-psycho-sozialen Verständnis der Erkrankung. Die klinische Einschätzung des psychischen Befundes erfolgt im Gespräch und durch gezielte Verhaltensbeobachtung. Dabei sollten Affektlage, Affektausdruck, psychomotorische Aktivität, Antrieb, Denkstruktur, Aufmerksamkeitssteuerung und formale sowie inhaltliche Denkstörungen systematisch erfasst werden. Auffälligkeiten wie emotionale Labilität, Reizbarkeit, Verlangsamung oder ausgeprägte Erschöpfungstendenzen sollten beschrieben und im Zusammenhang mit der übrigen Symptomatik eingeordnet werden.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch phobische und somatoforme Symptome, z. B. in Form von ausgeprägter Krankheitsangst, Hypersensibilität für Körpersymptome oder übersteigerter Schonung. Hinweise auf Traumafolgestörungen, etwa bei belastenden Krankenhausaufenthalten oder intensivmedizinischer Versorgung, sollten nicht übersehen werden. Die Einschätzung der Ich-Dystonie, Krankheitsüberzeugung und Motivation zur Genesung kann Aufschluss über die psychodynamische Verarbeitung geben. Zur Erhebung und Objektivierung psychischer Symptome sind validierte Screeningverfahren hilfreich. Für depressive Symptome kann der Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9 oder Kurzform PHQ-2) oder der BDI-FS verwendet werden. Zur zusätzlichen Erfassung von Angstsymptomen bietet sich die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)-A an. Symptome von Fatigue und Depression überlappen sich teilweise, sodass die Gefahr besteht, dass Screening-Fragebögen falsch hohe Werte erfassen. Dieses Problem besteht z. B. auch der der chronischen Herzinsuffizienz (Kindermann, I. et al., 2024). Daher wurden Fragebögen entwickelt, die gezielt nur affektive Symptome der Depression erfassen und auf Items, die durch eine somatische Komorbidität konfundiert sein könnten, verzichten. Dies sind u. a. die HADS, der BDI-FS und als sehr kurzes Instrument der PHQ-2.
Schlafmedizinische Diagnostik
Eine detaillierte Diagnostik ist in der S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen (AWMF Leitlinien-Registernummer 063 - 003) aufgeführt. Bei komplexen und länger dauernden Schlafstörungen ist eine Untersuchung im Schlaflabor notwendig. Hier werden während meist zweier aufeinander folgender Nächte sehr detaillierte Untersuchungen durchgeführt bezüglich der Schlafstruktur, der Schlafstadien, der nächtlichen Bewegungen und der nächtlichen Atmung.
Kardiopneumologische Diagnostik
Zur differenzierten pneumologischen Diagnostik sei auch an dieser Stelle auf die entsprechenden Leitlinien verwiesen (https://www.atemwegsliga.de/lungenfunktion.html), hier soll nur ein Überblick möglicher kardio-pneumologischer Diagnostik erfolgen:
- 6-Minuten-Gehtest
- Spirometrie oder besser Body-Plethysmographie mit Diffusionsmessung
- Ergooxytensiometrie oder besser Spiroergometrie
- Breathing Vigilance Questionnaire (Breathe-VQ)
- EKG
- Orthostasetest/ NASA lean Test (NLT)
- Echokardiographie
- Ggf. nichtinvasive Diagnostik auf das Vorliegen einer kardialen Ischämie, nur bei Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit auf eine KHK rechtfertigt sich ein Herzkatheter (hier sollte bei dem Verdacht von PEM eine genaues Kosten-Nutzen-Abwägung stattfinden)
- Ggf. nichtinvasive Diagnostik auf das Vorliegen einer kardialen Ischämie, nur bei Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit auf eine KHK rechtfertigt sich ein Herzkatheter (hier sollte bei dem Verdacht von PEM eine genaues Kosten-Nutzen-Abwägung stattfinden)
Therapieoptionen
Bislang steht keine kausale Therapie zur Verfügung, für die es eine ausreichende Evidenz gibt. Damit bleibt nur die Möglichkeit der symptombezogenen Therapieansätze, die sich an den jeweiligen Leitlinien der aktuellen Beschwerden orientieren. Dies beinhaltet ebenfalls eine leitliniengerechte pharmakologische Therapie. In einer Richtlinie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einzurichtende Versorgungsstrukturen für die Betroffenen definiert (Gemeinsamer Bundesauschuss, 2023). Dabei stellen die Hausärzt*innen einen wichtigen Drehpunkt dar, da sie zunächst die Überweisungen zu den anderen Fachdisziplinen und Leistungserbringern z.B. Physiotherapie, Ergotherapie) koordinieren und die Übersicht und Zusammenschau der Befunde wahren. Schlussendlich sind die Hausärzt*innen auch die Schnittstelle in der engen Zusammenarbeit mit Behörden, Krankenkassen und der Rentenversicherung. Außerdem sollte die psychische/ psychosomatische Grundversorgung gesichert werden. Diese kann in der Folge auch die psychotherapeutische Weiterbehandlung erforderlich machen, vor allem bei schwerer oder unmöglicher Alltagsbewältigung und auch die Behandlung bei dysfunktionaler Krankheitsbewältigung oder fehlender Krankheitsakzeptanz.
Körperliche Bewegung
Die Bedeutung von körperlicher Bewegung für eine gesunde Lebensführung und die Prävention und Prognose bei zahlreichen (chronischen) Erkrankungen ist bekannt. Wer regelmäßig körperlich aktiv ist, kann damit das allgemeine Wohlbefinden und die körperliche, psychische und soziale Gesundheit steigern sowie das Herz-Kreislaufsystem und die Entwicklung des Muskel-Skelettsystems stärken (RKI, Körperliche Aktivität / Sport). Bewegung stimuliert das Wachstum neuer Nervenzellen und die Freisetzung von Proteinen, von denen bekannt ist, dass sie die Gesundheit und das Überleben der Nervenzellen verbessern (Pedersen, B.K., et al., 2015). Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2010, die 40 Studien umfasst, kommt zu dem Schluss, dass körperliches Training die Angstsymptome bei Menschen mit chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fibromyalgie, Multipler Sklerose, psychischen Störungen, Krebs und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung reduziert (Herring, M.P., et al., 2010).
Für den Fall, dass bei PCS eine ausreichende Belastbarkeit vorliegt, ist davon auszugehen, dass auch diese Patient*innen von einer Bewegungstherapie profitieren (AWMF, S1-Leitlinie Long/Post-Covid). Wichtig für die Betroffenen ist in diesem Kontext eigene Grenzen zu erkennen und die Belastung in diesen Grenzen zu strukturieren. Für dieses Vorgehen hat sich der Begriff Pacing etabliert. Für den Einsatz von Bewegungstherapie bei Angststörungen (Esquivel, G., et al., 2008), Depressionen (Morres, I.D., et al., 2019), und posttraumatischen Belastungsstörungen (Rosenbaum, S., et al., 2015) liegt mittlerweile eine gute Evidenz vor. In einem Ende 2024 im British Medical Journal erschienenen systematischen Review (Zeraatkar, D. et al., 2024) waren individuell dosierte Bewegungstherapie, KVT und die Kombination von beiden in rehabilitativen Angebote die bisher einzigen evidenzbasierten Behandlungsangebote bei PCS. Kieffer et al. konnten 2024 in einer RCT zeigen, dass individuell dosiertes, moderates Ausdauertraining bei PCS-Patienten Fatigue reduzieren und die körperliche Fitness steigern konnte. Moderat Betroffene profitierten hierbei mehr als schwer Betroffene (Kieffer, S. et al., 2024). In einer randomisierten klinischen Studie vertrugen nicht hospitalisierte Patienten mit PCS eine körperliche Belastung, gut, zeigten jedoch eine geringere aerobe Kapazität und Muskelkraft als die Kontrollgruppe. Die Ergebnisse legen nahe, dass ein vorsichtiger Trainingsbeginn empfohlen werden könnte, um einer weiteren Degeneration der Skelettmuskulatur und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Patienten mit PCC vorzubeugen (Tryfonos, et al., 2024 ). Bemerkenswert für die Reha-Nachsorge ist eine RCT, die zeigen konnte, dass ein moderates Trainingsprogramm mit täglichem Monitoring der Fatigue-Symptomatik und individueller Trainingsanpassung Fatigue, gesundheitsbezogene Lebensqualität und körperliche Fitness bei PCS signifikant verbessern konnte. Diese Studie coatchte und monitorte online Fitnessstudios in der Peripherie, was die Ergebnisse sehr gut geeignet für die Umsetzung in der praktischen Versorgung macht. Trotzdem fehlen derzeit noch ausreichend Studien, die die Zusammenhänge zwischen Bewegung und PEM im Rahmen von PCS abschließend einordnen. Es wird empfohlen, dass diese Patienten während Bewegungstherapie engmaschig überwacht werden, um die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten (Pouliopoulou, D.V., et al., 2023). Dann zeigt sich aber ein potenzieller Nutzen eines COVID-19-Rehabilitationsprogramms hinsichtlich der Verbesserung von Müdigkeit, körperlicher Leistungsfähigkeit und Symptomverschlimmerung bei Personen mit anhaltenden COVID-19-Symptomen (Daynes, et al., 2024). Einige Metaanalysen, wie beispielsweise eine neuere Studie aus China (Yang, G., et al., 2023) zeigen, dass sich körperliche Aktivität positiv auf die Wiederherstellung des Wohlbefindens bei Post-COVID-19-Patienten auswirken kann. Dies äußert sich vor allem in der Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Lungenfunktion. In einer kleineren randomisierten Studie konnte ein mehrwöchiges ambulantes körperliches Training mit niedriger und moderater Intensität die Symptomlast senken (Jimeno-Almazán, et al., 2023). Eine Metaanalyse aus Deutschland fasste praktische Empfehlungen für das Training von Patient*innen mit Long COVID mit und ohne PEM zusammen. Dabei zeigte sich eine große Heterogenität in den aktuell praktizierten Ansätzen. Auf der Grundlage der Literaturrecherche, der Expertenbefragung und der eigenen umfangreichen Erfahrung der Autoren wurde ein Vorschlag für praktische Bewegungsempfehlungen für Menschen mit Long-COVID entwickelt, der nach Vorhandensein, Häufigkeit, Schweregrad und Dauer von PEM stratifiziert ist (Gloeckl, R., et al., 2024).
Bei Patient*innen mit ausgeprägtem PEM haben aktivierende Therapien nachteilige Effekte und sind nicht zu empfehlen (Jimeno-Almazán, et al., 2023, AWMF, S1-Leitlinie Long/Post-Covid). Bei moderatem PEM sollte einer Verschlechterung durch Selbstmanagement und Pacing vorgebeugt werden, eine französische prospektive Studie hat diese Wirksamkeit nochmals untermauert (Ghali, A., et al., 2023). Es sollte zunächst ein leichtes bis moderates Training durchgeführt werden. Die Trainingshäufigkeit sollte zwischen drei und fünf Einheiten in der Woche liegen und eine Einheit sollte zwischen 20 bis 30 Minuten dauern (AWMF, S1-Leitlinie Long/Post-Covid). Dabei muss beachtet werden, dass nach jedem Training eine kurzfristige Ermüdung auftreten kann, welche nicht mit PEM gleichzusetzen ist (Appelman, B., et al., 2024). Um die genaue Belastbarkeit der PCS-Patient*innen zu erfassen, sollte eine genaue Therapieplanung mit Risikostratifizierung erfolgen. Bei der gesicherten Diagnose ME/CFS ist eine stufenweise Aktivierungstherapie kontraindiziert (AWMF, S1-Leitlinie Long/Post-Covid).
Tabelle: Modifizierte Praxisempfehlung angelehnt an Rainer Gloeckl et al.: Practical Recommendations for Exercise Training in Patients with Long COVID with or without Post‑exertional Malaise | |||
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Keine PEM |
Moderate PEM |
Schwere PEM |
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Maximaltest zur Beurteilung der maximalen Herzfrequenz |
+ |
- |
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Ausdauer/ Woche |
3-5 (10- 30 min) |
2-3 (<10 Minuten) | Kurze Ausdauermuskelaktivität (< 2 Minuten) bei orthostatischer Intoleranz im Sitzen oder Liegen |
Intervalltraining |
Möglich |
Individuell mit maximaler HF von 120 bpm möglich | |
Krafttraining/ Woche |
3-5 mit 3 Sätzen mit ca. 10 Wiederholungen |
Möglich bei individuell reduzierter Intensität | |
Inspiratorisches Muskeltraining/ Woche |
3-7, mit 30 % von Pimax, mit progressiver Erhöhung nach Verträglichkeit |
Möglich bei individuell reduzierter Intensität | |
Quelle: Gloeckl, R., et al. Practical Recommendations for Exercise Training in Patients with Long COVID with or without Post‑exertional Malaise: A Best Practice Proposal. 2024. |
Psychotherapie
Die Bedeutung von Depressivität und Angst als Komorbidität von PCS konnte in einer Metaanalyse von Engelmann et al. (2024) mit über 113 eingeschlossenen Studien und 312.831 Betroffenen gezeigt werden. Schon 2022 konnten Wang et al. zeigen, dass psychische Komorbiditäten ein Risikofaktor für PCS sein könnten und sich vor allem vorbestehende Erschöpfung und Einsamkeit stressverstärkend auswirken. Zunehmend zeigt sich auch innerhalb der PCS-Rehabilitationen – analog zu anderen chronischen Krankheiten – die Bedeutung psychosozialer Faktoren und psychischer Komorbidität. Psychische Komorbidität, egal ob vorbestehend, oder durch PCS entstanden, hat sekundäre Auswirkungen auf die körperliche Symptomatik sowie auf die Aktivität und Teilhabe. Hieraus ergeben sich potenzielle Ansatzpunkte für die Rehabilitation (Kupferschmitt, A. et al., 2022).
Im Bereich der Schmerzchronifizierung ist das Avoidance/Endurance-Konzept empirisch gut belegt (Hasenbring & Verbunt, 2020). Ob sich für PCS möglicherweise Handlungsmöglichkeiten ableiten lassen muss weitere klinische Forschung zeigen.
Ein Erklärungsmodell bietet dabei ein aktueller Artikel: "Das Post-COVID-Syndrom - Überblick über bio-psycho-soziale Erklärungsmodelle¸ Alexa A. Kupferschmitt & Volker Köllner; Psychotherapeutenjournal 02/2025" Wenn vor der Infektion ein hohes Leistungsniveau und eine Verausgabungsbereitschaft vorlag, so führt die PCS assoziierte Leistungsminderung aufgrund der eigenen Erwartungshaltung zu Selbstüberforderung mit wiederholten Frustrationserfahrungen. Daraus folgt dann wieder eine psychische Belastungssituation, welche sich wiederum negativ auf das Immunsystem auswirken kann. Versagensängste können dann in der Folge andere Ängste auslösen. Auch der Einfluss von dysfunktionalen Verarbeitungsmustern auf Angst, Depressivität und körperliche Leistungsfähigkeit konnte gezeigt werden (Burmehl, L. et al., 2025). Innerhalb der Rehabilitation konnten diese Verhaltensmuster in eine funktionale Richtung verändert werden (Kupferschmitt, A. et al., 2025).
Kognitives Training
Kognitives Training umfasst Therapien zu einer Verbesserung der Kognition im Sinne des Denkens, des Verstehens und der Merkfähigkeit. Auch hier ist eine individuelle Ausrichtung der Therapieschwerpunkte unabdingbar, dies bedeutet, dass eine vorherige Testung notwendig ist. Meist werden solche Testungen und die folgende Therapie bei Neuropsychologen oder Ergotherapeuten durchgeführt. Es stehen mittlerweile auch diverse Apps zum selbstständigen Training zu Hause zur Verfügung. Verschreibungsfähig sind hierbei die durch das BfArM zugelassenen Digitalen Gesundheitsanwendungen wie beispielhaft bei leichten kognitiven Störungen die DIGA NeuroNation MED, die jedoch für die Anwendung im Kontext von PCS nicht validiert ist. Wesentlich ist dabei, dass nicht unspezifisch "anregend" trainiert wird, sondern die vorher in der Analyse identifizierten Defizite konkret geübt werden. Auch hier gelten die Prinzipien des Pacing Ansatzes.
Eine RCT konnte einen Effekt von KVT auf Fatigue bei PCS nachweisen (Kuut, T.A. et al., 2023). Weitere Studien zeigten einen Effekt von KVT in Kombination mit bewegungsbezogenen Interventionen (Frisk, B. et al., 2023).
Atemtherapie
Mit gezielten Atemübungen kann die Atemstruktur verbessert und das Symptom damit positiv beeinflusst werden. Eine klinische Interventionsstudie gibt zusätzliche Hinweise für eine mögliche pathophysiologische Erklärung einer Zwerchfellschwäche und den dazugehörigen Behandlungsansatz bei anhaltender Dyspnoe (Spiesshoefer, J., et al., 2024).
Sonstige somatische Ansätze/ Medikamentöse Therapie
Sowohl zu medikamentösen als auch nicht-medikamentösen Therapieansätzen gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten, welche aber bei fehlender pathophysiologischer Grundlage bisher keine durchbrechenden Resultate erbracht haben. Es bleibt bisher nur eine symptomorientierte Behandlung der einzelnen somatischen Symptome. Auch ein Off-Label Use diverser Antidepressiva, Psychopharmaka oder Schmerztherapeutika ist immer im individuellen Setting zu entscheiden.
Für die oftmals diskutierte invasive Plasmapherese hat in eine prospektive, Sham-kontrollierte, randomisierte Phase-II-Studie keinen Effekt gezeigt, so dass hiervon abzuraten ist. Auch die Hyperbare Sauerstofftherapie brachte bisher keine zielführenden Ergebnisse, wobei prospektive Studien aktuell in Durchführung sind (España-Cueto, S., et al., 2025, Kjellberg, A., 2023).
Ernährung
Eine intakte Darmflora ist supportiv für die Gesundheit, vor allem für das Immunsystem. Damit bietet eine ausgewogene und gesunde Ernährung die Möglichkeit das Wohlbefinden zu verbessern. Dabei sollte die Zusammensetzung und der Basisbedarf der Kalorien der individuellen Situation angepasst werden. Zu empfehlen sind natürliche Lebensmittel, Ballaststoffreiche Kost, Obst, Gemüse und hochwertige Fette, wobei evidenzbasierte Empfehlungen für eine spezifische Ernährungstherapie bei PCS fehlen. Details für eine gesunde Ernährung sind auf der Webpage der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu finden.
Krankheitsverlauf und Prognose
Aufgrund der immer noch nicht ausreichenden und damit nicht eindeutigen Datenlage ist eine langfristige Prognose schwierig und orientiert sich vor allem an den chronischen Einschränkungen der betroffenen Organsysteme.
Übergang und Abgrenzung zu ME/CFS
Die Belastungsintoleranz und die Fatigue sind die Hauptsymptome, welche die Überschneidung zwischen PCS und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) darstellen. Die klinische Grundlagenforschung muss in Zukunft zeigen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen den Krankheitsentitäten gibt. Aktuell besteht der Verdacht, dass es eine Subgruppe von PCS erkrankten Menschen gibt, bei denen sich ein Übergang zu ME/ CFS entwickelt. Die genaue Prävalenz von ME/CFS in Zusammenhang mit PCS ist dabei noch unklar (AWMF, S1-Leitlinie Long/Post-Covid). Ebenso lässt sich wissenschaftlich nicht der genaue Zeitpunkt festlegen, an denen die Krankheitsbilder ineinander übergehen. Deshalb ist eine ganzheitliche Herangehensweise erforderlich, die medizinische und soziale Unterstützung kombiniert.
Wahrscheinlich ist hier von einem Kontinuum auszugehen, welches von Long COVID zu Post COVID übergeht und über einen schwer zu definierenden Graubereich in ME/CFS münden kann, oder auch nur in Teilaspekten und Phasen diese Kriterien erfüllt. Die Diagnose ME/CFS muss klinisch anhand der international etablierten Diagnosekriterien nach gesichertem Ausschluss der möglichen mit Fatigue assoziierten Differentialdiagnosen gestellt werden. Dieses Vorgehen erfordert eine sorgfältige Stufendiagnostik, wobei eine interdisziplinäre Vorgehensweise unter Einbeziehung unterschiedlicher Fachgebiete zielführend ist.
Abbildung: Kontinuum zwischen Post-COVID und ME/CFS
Quelle: Eigene Darstellung, Deutsche Rentenversicherung Bund