Störungsspezifische Beschreibung
Depressive Störungen
Depressive Störungen sind eine häufige Erkrankung. Die Lebenszeitprävalenz, an einer Depression zu erkranken, liegt bei ca. 16-20%. Hier werden folgende Krankheitsbilder inhaltlich zusammengefasst dargestellt:
- Depressive Episoden F32
- Rezidivierende depressive Episoden F33
- Anhaltende affektive Störung (Dysthymia) F34.1
Depressionen sind gekennzeichnet durch folgende Hauptsymptome:
- Deutlich gedrückte Stimmung
- Interessenlosigkeit
- Antriebsminderung
Auszuschließen sind zusätzliche Phasen gehobener, euphorischer Stimmungslage entsprechend einer bipolaren Störung. Depressive Episoden führen meist zu einer im unterschiedlichen Maße ausgeprägten Beeinträchtigung der gesamten Lebensführung. Häufig besteht ein hoher Leidensdruck. Sie treten in jedem Lebensalter auf. Vermutlich erkranken ca. 50 % der Betroffenen erstmalig vor dem 31. Lebensjahr. Depressionen beginnen teils schon in der Kindheit und der Adoleszenz. Häufig treten sie familiär auf. Frauen sind ca. doppelt so häufig wie Männer von depressiven Störungen betroffen.
Es wird ein multifaktorielles Entstehungskonzept angenommen mit einer Wechselwirkung von biologischen und psychosozialen Faktoren. Die Genese kann dabei von Patient zu Patient unterschiedlich sein. Genetische Disposition, depressive Entwicklungen bei hirnorganischen Störungen können ein depressives Erleben begründen. Psychosoziale Faktoren können frühe Traumatisierung, schwere Vernachlässigung, Verluste, Trennungen, Enttäuschungen, Überforderungen, interpersonelle Konflikte, Krisen in Beziehungen, unzureichende soziale Unterstützung sein. Teilweise treten depressive Episoden nach einem saisonalen Muster auf (saisonal bedingte Depression).
Depressive Störungen gehen mit einer hohen Mortalität einher. Die Mortalitätsrate ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung ca. um das Zweifache erhöht. Die durchschnittliche Lebenserwartung reduziert sich um 7-14 Jahre. Sie begründet sich unter anderem durch die erhöhte Suizidrate (Suizidrate ca. 20-mal höher als in der Durchschnittsbevölkerung) aber auch durch das erhöhte Risiko an weiteren körperlichen Störungen zu erkranken, eine substanzbedingte Störung zu entwickeln oder insgesamt einen krankheitsfördernden Lebensstil zu führen.
Symptomatik rezidivierender depressiver Störungen
- Auftreten von mindestens 2 depressiven Episoden
- Mit jeweiliger Dauer von mindestens 2 Wochen
- Episoden sind mindestens durch mehrere Monate ohne eindeutige affektive Symptomatik voneinander getrennt
Symptomatik anhaltender depressiver Störungen (Dysthymie)
- Langanhaltende, chronifizierte depressive Stimmungsstörung
- Mindestens seit 2 Jahren bestehend, meist Jahre lang andauernd
- Die depressiven Episoden erreichen selten, wenn überhaupt das Ausmaß einer leichten oder mittelgradigen depressiven Störung
- Beginn gewöhnlich früh im Erwachsenenleben
- Beträchtliches subjektives Leiden und Beeinträchtigungen im beruflichen und sozialen Bereich, sodass sich ein starker Behandlungsbedarf ergibt
- Betroffene können in der Regel die wesentlichen Anforderungen im Alltagsleben erfüllen
- In der ICD-11 wird die Dysthymie den depressiven Störungen zugerechnet
Definition therapieresistente Depression
Eine behandlungsresistente Depression liegt vor, wenn:
- Mindestens 2 unterschiedliche, adäquat dosierte Antidepressiva aus unterschiedlichen Substanzklassen keine hinreichende Response bewirkt haben
- Nach der Nationalen Versorgungsleitlinie wird unter Therapieresistenz folgendes verstanden: Nichtansprechen auf eine initiale Therapie plus ≥ 1 weitere Behandlungsstrategie
- Es bleibt bei einer definitorischen Unschärfe in der Unterscheidung einer chronischen unipolaren Depression mit einer Dauer von mehr als 2 Jahren auf der einen Seite und einer behandlungsresistenten Depression auf der anderen Seite
Definition Double Depression
Die Dysthymie ist gekennzeichnet durch eine mindestens seit 2 Jahren bestehende depressive Symptomatik. Aus dieser kann sich eine zusätzliche depressive Episode entwickeln, so dass man von einer so genannten doppelten Depression (Double Depression) spricht.
Rückfall- und Rezidivrisiko
- Bei ca. 40-60 % der Betroffenen kommt es nach einer ersten depressiven Episode zu einem Rückfall oder einem Rezidiv
- Mit jeder weiteren Erkrankungsphase steigt das Risiko, erneut zu erkranken
- Sollten i.d.R. im Vorfeld der Begutachtung erfolgt sein
Risikofaktoren durch die Erkrankung selbst sind:
- Höhere Anzahl von depressiven Episoden
- kurzer Zeitraum zwischen Episoden/Rezidiven
- lange Dauer der zurückliegenden Episoden
- unvollständige Remission
- Ausprägungsgrad der Symptomatik
- jüngeres Alter bei Ersterkrankung
Weitere Risikofaktoren:
- Familiäres Risiko
- weitere komorbide psychische Störungen
- somatische Komorbidität
- negative Kindserfahrungen
- belastende Lebensumstände (z. B. Arbeitslosigkeit, niedriger sozioökonomischer Status)
- mangelnde soziale Unterstützung und Einsamkeit
Anamnese
Die Sachaufklärung dient entsprechend der ICF vornehmlich der Klärung der Funktionsstörungen und der damit verbundenen Störungen auf der Ebene der Aktivitäten sowie den daraus resultierenden Einschränkungen in Bezug auf die Teilhabe. Sie umfasst ebenso die Kontextfaktoren.
Im Weiteren soll ermittelt werden, ob es sich um einen phasisch verlaufenden Prozess handelt oder um eine chronifizierte depressive Entwicklung.
Die Sachaufklärung soll so ausgerichtet sein, dass eine Aussage über das quantitative und qualitative Leistungsbild getroffen werden kann.
Störungsspezifische Anamnese
- Zeitlicher Beginn der ersten depressiven Episode
- Anzahl der weiteren depressiven Episoden
- Episodendauer
- Symptomfreie Intervalle / Chronifizierung
- Gegebenenfalls Auslöser depressiver Episoden
- Symptomatik in den jeweiligen Episoden (Symptomveränderung, Symptomzunahme)
- Suizidalität
- Psychische Komorbidität
- Somatische Komorbidität
- Substanzmittelmissbrauch
- Ausschluss maniformer Episoden
- Ambulante und / oder stationäre Behandlungen
- Nutzung von und Ansprechen auf Therapieoptionen
- Medikamentöse Behandlungen
- Psychotherapeutische Behandlungen
- Weitere therapeutische Behandlungsoptionen
Persönlichkeitscharakteristika
- Persönlichkeitsstruktur
- Spezifische intrapsychische Konfliktkonstellationen
- Maladaptive Lernerfahrungen
- Regressionspotential
Somatische und psychische Anamnese
- Erfragung körperlicher Erkrankungen, ggf. Wechselwirkung zwischen psychischer Störung und somatischen Erkrankungen
- Erfragung ggf. weiterer psychischer Störungen
- Erkrankungen in der Vorgeschichte
- Gesundheitsverhalten (v.a. Bewegung, Rauchen, regelmäßige und ausgewogene Ernährung)
Anbei finden Sie einen Link zu einem Muster für die Anamneseerhebung. Die dort gelisteten Punkte geben Hinweise auf eine vollständige Anamnese, müssen aber nicht bei jedem Krankheitsbild einzeln aufgeführt werden.
Diagnostische Maßnahmen
Die körperliche Untersuchung ist auch bei psychosomatischen / psychiatrischen Erkrankungen ein wichtiger Bestandteil im Begutachtungsprozess.
Weitere Informationen: Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV-Schrift 21, S.55
Psychischer Befund
- Ausführliche Beschreibung der individuellen Ausprägung der verschiedenen psychischen Qualitäten
- Verwendung der Terminologie u.a. aus:
- AMDP-System
- ICF
- ICD-10 / perspektivisch ICD-11
- Subjektives Krankheitserleben
- Beschreibung der Persönlichkeitseigenschaften (Vulnerabilitätsfaktoren)
Apparative Diagnostik
Sollten i.d.R. im Vorfeld der Begutachtung erfolgt sein
- eventuell EEG
- eventuell CCT, MRT
- Medikamentenspiegel-Bestimmung:
- Indikation bei unzureichender Wirkung
- Zweifel an der Therapieadhärenz des Probanden
Testpsychologische Diagnostik
- Auswahl der Testverfahren liegt im Verantwortungsbereich des Sachverständigen
- Die Auswahl ist abhängig von der Fragestellung
Selbstbeurteilungsskalen
Sind subjektive Angaben des Probanden
- Unterliegen gegebenenfalls intentionalen Antwortverzerrungen
- Sind allein kein Symptom- oder Krankheitsnachweis
- Sind flankierende Informationen
- Wichtiger Bestandteil einer umfassenden Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung
- Diagnostik mittels:
- PHQ-2: 2 Fragen; Sensitivität 96%; Spezifität: 57 %
- Kurzform PHQ-D
- WHO-5-Fragebogen
- Allgemeine Depressionsskala (ADS)
- Becks Depressionsinventar (BDI-II)
- Depressionsskala im Health-49
Fremdbeurteilungsverfahren
- Standardisierte Urteils- oder Ratingmethoden
- Informationsgrundlagen:
- In der Exploration gewonnene Angaben des Probanden
- Beobachtung durch den Gutachter
- Zur Plausibilitätsprüfung lassen sich Ergebnisse von Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren vergleichen
Diagnostische Einschätzungen
Klassifikation der depressiven Störung nach Schweregrad
- Die ICD-10 unterteilt depressive Episoden nach dem Schweregrad in leichte (F32.0), mittelgradige (F32.1) und schwere (F32.2) depressive Episoden. Die Einteilung richtet sich nach der Anzahl von vorliegenden Haupt- und Zusatzsymptomen
- Die Dysthymia ist gekennzeichnet durch einen Verlauf von mindestens 2 Jahren. Die Kriterien beziehungsweise die Symptomanzahl erfüllen in der Regel nicht das Ausmaß einer leichten depressiven Episode
Klassifikation nach Dauer und Verlauf
- Die depressiven Episoden haben zumindest eine 14-tägige oder längere Dauer. Schwere depressive Episoden können auch bei einer geringeren Zeitdauer diagnostiziert werden, wenn die Symptomatik besonders ausgeprägt ist und sich sehr rasch entwickelt
- Der Verlauf von Depressionen ist typischerweise episodisch; somit zeitlich begrenzt:
- durchschnittliche Episodendauer 6-8 Monate vor Einführung der Psychopharmaka
- bei effektiver Behandlung im Durchschnitt geschätzt ca. 16 Wochen bei mittel-bis schwergradiger depressiver Episode
- In Bezug auf den Verlauf ist es bedeutsam, inwieweit depressive Störungen gänzlich oder nur partiell remittieren oder chronisch verlaufen. Dabei sieht die ICD-10 im Gegensatz zur DSM-5 keine Kodierung für das Ausmaß der Remission oder die Chronizität der Störung vor. Im Gegensatz zur ICD-10 bietet das DSM-5 eine differenziertere Unterteilung der Depressionen mit Einteilung in Voll- oder Teilremission
- Dort wird eine Unterscheidung zwischen den Diagnosen chronische Major Depression und Dysthymie aufgehoben. Diese werden gemeinsam in einer Kategorie "Persistierende depressive Störung" zusammengefasst; der Zeitumfang beträgt ebenso 2 Jahre
- Depressionen gelten als "Severe Mental IlIness" - Schwere psychische Erkrankung unter folgenden Bedingungen:
- Depression mit schwerer Symptomatik
- chronische/rezidivierende Depressionen unabhängig vom Schweregrad der Ausprägung, wenn sie:
- länger als 2 Jahre andauern
- mit einer deutlichen Einschränkung der sozialen Teilhabe (ICF) verbunden sind.
Einschätzung des Schweregrades der depressiven Episode anhand von Symptomen nach ICD-10 und S3-LL Nationel Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression"
Quelle: ICD 10, S3-LL Nationel Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" , Version 3.2, Stand: 07/2023 (Register-Nr. nvl-005) | ||
Tabelle: Hauptsymptome bei einer depressiven Episode | ||
Depressive, gedrückte Stimmung | Interessenverlust und Freudlosigkeit | Verminderung des Antriebes mit erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung |
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Quelle: ICD 10, S3-LL Nationel Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" , Version 3.2, Stand: 07/2023 (Register-Nr. nvl-005) | |||
Tabelle: Zusatzsymptome bei einer depressiven Episode | |||
Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit | Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen | Schuldgefühle/Gefühl von Wertlosigkeit | Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven |
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Quelle: ICD 10, S3-LL Nationel Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" , Version 3.2, Stand: 07/2023 (Register-Nr. nvl-005) | ||
Fortsetzung der Tabelle: Zusatzsymptome bei einer depressiven Episode | ||
Suizidgedanken, Suizidhandlung, Selbstverletzungen | Schlafstörungen | Appetitminderung |
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Weitere Typisierung: Somatisches Syndrom und psychotisches Syndrom
Somatisches Syndrom
- Zusätzliche Kodierung nach der ICD-10 bei leichten beziehungsweise mittelgradigen depressiven Episoden
- Bei schweren depressiven Episoden wird angenommen, dass sie in der Regel mit einem somatischen Syndrom einhergehen
- Frühere Bezeichnung: "endogen"
- Vier der acht Symptome müssen vorliegen:
- Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten
- Mangelnde Fähigkeit auf positive Situationen emotional zu reagieren
- Frühmorgendliches Erwachen
- Morgentief
- Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit
- Deutlicher Appetitverlust
- Gewichtsverlust
- Deutlicher Libidoverlust
Psychotisches Syndrom
- Wahnideen:
- Versündigungswahn
- Verarmungswahn
- Katastrophisierender Wahn
- Hypochondrischer Wahn
- Nihilistischer Wahn
- Verkleinerungswahn
- Halluzinationen (meist akustisch)
- Depressiver Stupor (ICD 10)
Depressive Störung: Diagnosestellung nach ICD-10 - modifiziert
Quelle: Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression Version 3.1 | |||
Tabelle: Depressive Störung: Diagnosestellung nach ICD-10 - modifiziert | |||
Dauer der Symptome ≥ 2 Wochen | Leichte depressive Episode | Mittelgradige depressive Episode |
Schwere depressive Episode |
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Max. 3 Hauptsymptome: | ≥ 2 | ≥ 2 | 3 |
Gedrückt, depressive Stimmung | |||
Interessenverlust, Freudlosigkeit | |||
Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit | |||
Max. 7 Zusatzsymptome: |
≥ 1 |
≥ 3 |
≥ 5 |
Verminderte Konzentration/ Aufmerksamkeit |
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Vermindertes Selbstwertgefühl/ Selbstvertrauen |
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Gefühl von Schuld/Wertlosigkeit |
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Negative/ pessimistische Zukunftsperspektiven |
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Suizidgedanken/ -Handlungen |
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Schlafstörungen |
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Verminderter Appetit |
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Dauer der Symptome in Wochen: |
≥ 2 |
≥ 2 |
≥ 2 |
ICD-Diagnose: |
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Eine Episode |
F 32.0 |
F 32.1 |
F 32.2 /mit psychotischer Symptomatik F 32.3 |
Mindestens 2 Episoden |
F 33.0 |
F33. 1 |
F 33.2 /mit psychotischer Symptomatik F 33.3 |
Depressive Störung: Diagnosestellung nach ICD-11
- Im Gegensatz zur ICD-10 differenziert die ICD-11 zwischen einer partiellen und vollständigen Remission
- Partiell remittiert:
- Inkomplett remittiert
- Dauer ≥ 2 Jahre
- Eine chronische/persistierende Verlaufsform der depressiven Störung liegt vor, wenn die depressive Episode ohne Unterbrechung mehr als 2 Jahre anhält
- Double Depression: Eine depressive Episode mit zuvor vorangegangener Dysthymie
Differenzialdiagnostik
- Bipolare Störungen
- Depressive Anpassungsstörung
- Organisch depressive Störung
- Burn-out
- Schizophrenie
- Demenz
- Angst- und Panikstörung / soziale Phobie
- Posttraumatische Belastungsreaktion
- Zwangsstörung
- Somatoforme Störung
- Substanzmissbrauch
- Essstörungen
- Persönlichkeitsstörungen
Burn-out-Syndrom
- Dieses ist derzeit wissenschaftlich bislang nicht als Krankheit kodiert worden. Im Vordergrund steht eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung, die durch Überlastung ausgelöst wird. Meist betrifft dies den beruflichen Kontext, aber auch andere Lebensbereiche.
- Die ICD-10 erfasst das Burn-out-Syndrom mit dem Diagnoseschlüssel Z73: "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung": Z73.0: "Ausgebranntsein", "Zustand der totalen Erschöpfung".
- In dieser Nomenklatur ist das Burnout eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose aber keine Behandlungsdiagnose, die eine Therapie begründet. Länger anhaltende Arbeitsüberlastungen können aber das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung, hier einer Depression, erhöhen
- In der ICD-11 wird das Burnout auch weiterhin nicht als Behandlungsdiagnose aufgelistet; es stellt einen Risikofaktor für weitere psychische Erkrankungen dar
- In der ICD-11 wird der Begriff Burnout analog zur bisherigen Z-Codierung in der ICD-10 mit QD85 kodiert und wird dort wie folgt definiert:
- Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich bewältigt wurde
- Gefühle der Energieerschöpfung oder Erschöpfung
- Erhöhte geistige Distanz zur Arbeit oder Gefühle von Negativismus (= Verweigerung) oder Zynismus (= Verachtung und Spott) in Bezug auf die Arbeit
- Gefühl der Ineffektivität (= Ergebnislosigkeit) und des Mangels an Leistung
Anpassungsstörung
- Die Anpassungsstörung (AD) mit überwiegend depressiver Symptomatik ist eine wichtige Differentialdiagnose zur depressiven Episode.
- Die Grenze zwischen der Anpassungsstörung und der depressiven Episode ist nicht eindeutig trennscharf: das depressive Erleben ist an einen Auslöser gekoppelt. U.a. gibt es ein positives emotionales Ansprechen bei positiven Erlebnissen; keine vegetativen Symptome wie z.B. frühmorgendliches Erwachen
- Die Krankheitsdauer ist kein gutes Unterscheidungskriterium, da es bei der depressiven Anpassungsstörung auch einen prolongierten Verlauf (bis zu zwei Jahre, F43.21) geben kann und das Zeitkriterium erst nach dem Ende der Belastung gilt.
Komorbidität zwischen Depression und anderen psychischen Störungen
- Häufig sind depressive Störungen mit weiteren psychischen Erkrankungen vergesellschaftet. Ca.60 % haben eine weitere psychische Störung
- 24 % haben drei oder mehr psychische Erkrankungen zeitgleich. Menschen mit mehreren psychischen Komorbiditäten sind dabei am stärksten von funktionellen Einschränkungen betroffen
- Menschen mit komorbiden Erkrankungen haben ein höheres Chronifizierungsrisiko, eine ungünstigere Prognose, erhöhtes Suizidrisiko
- Die differenzialdiagnostische Klärung möglicher psychischer Komorbidität hat eine große Bedeutung, da sie sowohl die Behandlung erschwert als auch die Prognose negativ beeinflusst
- Komorbiditäten erschweren und verkomplizieren den Verlauf
- Häufiger sind sie mit Therapieresistenz assoziiert
- Häufig zeigt sich eine Verbindung der depressiven Störung mit Angst- und Panikstörungen, somatoformen Störungen als auch Substanzmissbrauch und Ess- und Persönlichkeitsstörungen
Depression häufig verbunden mit:
- Angststörung
- Häufige Verbindung von Angststörungen und depressiven Störungen (ca. 50-60%)
- Geht mit erhöhter Symptomausprägung, Chronizität, stärkeren Funktionseinschränkungen und höherem Leidensdruck einher
- Schlechteres Ansprechen auf eine antidepressive Pharmakotherapie und psychotherapeutische Monotherapie
- Abhängigkeitserkrankungen (Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit)
- 1/3 der Patienten mit affektiven Störungen weisen auf die Lebenszeit hin einen Substanzmissbrauch auf
- Die Abhängigkeitserkrankung kann sich aufgrund einer Depression entwickeln (primäre Depression; Versuch der Selbstmedikation mit z.B. Alkohol). Die Symptome der Depression traten schon vor der Abhängigkeitserkrankung auf
- Oder die Abhängigkeitserkrankung führt zur Ausbildung einer depressiven Symptomatik (sekundäre Depression)
- Klingt typischerweise bei Abstinenz nach ca. 2-4 Wochen signifikant ab
- Klingt typischerweise bei Abstinenz nach ca. 2-4 Wochen signifikant ab
- Essstörung
- 75 % der essgestörten Menschen bilden als Komorbidität eine Depression über die Lebenszeit gemessen aus
- Therapeutische Maßnahmen zeigen eine geringere Response- oder Remissionsrate, höre Rückfallwahrscheinlichkeit, höhere Wahrscheinlichkeit für eine Chronifizierung der depressiven Störung
- Somatoforme Störungen
- In klinischen Stichproben zeigte sich eine Häufung zwischen 50-90 % von depressiven Syndromen bei Patienten mit somatoformen Störungen
- In klinischen Stichproben zeigte sich eine Häufung zwischen 50-90 % von depressiven Syndromen bei Patienten mit somatoformen Störungen
- Persönlichkeitsstörungen
- Es besteht eine hohe aber stark variierende Komorbidität mit einer Häufigkeit zwischen 6-87% laut verschiedener Studien und Metaanalysen
- Chronische Depression sind häufig verbunden mit folgenden Persönlichkeitsstörungen:
- Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Paranoide Persönlichkeitsstörung
- Abhängige Persönlichkeitsstörung
- Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
- Therapeutische Maßnahmen zeigen eine geringere Response- oder Remissionsrate, höhere Rückfallwahrscheinlichkeit, höhere Wahrscheinlichkeit der Chronifizierung der depressiven Störung
- Zwangsstörung
Komorbidität zwischen Depression und somatischen Erkrankungen
- Somatisch Erkrankte haben ungefähr das doppelte Risiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung an einer Depression oder einer Angststörung zu erkranken
Depression häufig verbunden mit:
- Chronische Darmerkrankungen
- Chronische Atemwegserkrankungen
- Chronische Herzerkrankungen
- Chronische Wirbelsäulenerkrankungen
- Chronische neurologische Erkrankungen
- Rheumatologische Erkrankungen
- Chronische Schmerzerkrankungen
- Diabetes mellitus
- Tumorerkrankungen
- Chronisch kardiale / vaskuläre Erkrankungen
- Fibromyalgie
- Chronisches Müdigkeitssyndrom
- Chemikalienhypersensitivität
- Hirnorganische Erkrankungen (meist höheres Lebensalter)
Transkulturelle Aspekte depressiver Störungen
- Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft
- 20% der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund
- Psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote werden von Personen mit Migrationshintergrund weniger in Anspruch genommen
- Studien bezüglich kultureller Spezifikation bei Depressionen sind selten
- Häufiger werden psychische Beschwerden körperlich ausgedrückt
- Die Prävalenzrate affektiver Störungen ist bei Menschen mit Migrationshintergrund höher
- Depressive Stimmungslage, Antriebsarmut und vermindertes Selbstwertgefühl sind kulturübergreifend ähnlich
- Ausgeprägte Somatisierung scheint in südeuropäischen und afrikanischen Ländern häufiger vorzukommen
- In asiatischen Ländern scheinen Symptome wie Schuld, Wertlosigkeit und Suizidalität häufiger zu sein
- Die Anamneseerhebung sollte deshalb kultur- und migrationsspezifische Einflussfaktoren auf die depressive Symptomatik berücksichtigen
Therapieoptionen
Überblick Therapiemaßnahmen
- Aktiv-abwartende Begleitung
- Psychoedukation/Schulung
- Niedrigintensive Interventionen:
- Sehr leicht und schnell zugänglich
- Stärkung der Selbstmanagement-Fähigkeiten
- Übergang zur Psychotherapie ist häufig fließend
- Bibliotherapie mit Hinweis auf Selbsthilfe-Selbstmanagement-Literatur
- gesprächsbasierte Interventionen
- Beratung
- Verhaltensaktivierung
- Empfehlung zu Ausdauertraining / Bewegungstherapie
- Internet- und mobilbasierte Interventionen:
- Anwendung für Computer/Mobilgeräte
- digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) als zertifiziertes Medizinprodukt
- Selbstmanagement bestärkend
- beinhalten psychoedukative Inhalte
- Module mit therapeutischen Interventionen
- Medikamentöse Behandlung:
- Antidepressiva
- Phasenprophylaxe
- Neuroleptika
- Benzodiazepine
- Ketamin-Therapie
- Psychotherapeutische Behandlung:
- Verhaltenstherapie
- Psychodynamische Verfahren
- Systemische Therapie
- Weitere Therapieverfahren
- Ausdauertraining / Bewegungstherapie
- Kombinationstherapie aus Medikation und Psychotherapie v. a. bei schwerer Episode sinnvoll
- Weitere Therapieverfahren u.a.:
- Lichttherapie
- Wachtherapie
- Sport- und Bewegungstherapie
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
- Repetitive Transkranielle Magnetstimulation
- Transkranielle Gleichstromstimulation
- Vagus-Nerv-Stimulation
- Experimentelle neurostimulative Verfahren (u.a. Tiefe Hirnstimulation, Magnetkonvulsionstherapie)
3 Phasen der medikamentösen Behandlung depressiver Störungen
1. Phase: Akutbehandlung
- Akute Krankheitsphase
- Leidensdruck mindern/Symptomatik eingrenzen
- Symptomreduktion ≥ 50 % = Ansprechen auf die Behandlung
- Aufdosierung/Anpassung der Medikation
- Remission: Vollständige Widerherstellung des ursprünglichen Funktionszustandes/symptomfreier Zustand
2. Phase: Erhaltungstherapie (6-12 Monate)
- Fortsetzung der antidepressiven Behandlung bei einem noch instabilen Zustand des Patienten
- Vollständige Genesung: Der Patient ist in der Erhaltungsphase von 4-9 Monaten symptomfrei
- Rückfall: während der Erhaltungsphase tritt erneut eine depressive Symptomatik auf
- Senkung des Rückfallrisikos durch Erhaltungstherapie um ca. 70 %
- Fortsetzung der antidepressiven Medikation mit gleicher Dosis über 6-12 Monate zur Verhinderung eines frühen Rückfalls
- Erst nach Ende der Erhaltungstherapie ist eine schrittweise Dosisreduktion der Medikation sinnvoll
3. Phase: Langzeit- bzw. Rezidivprophylaxe
- Rezidiv: Erneutes Auftreten einer depressiven Episode nach vollständiger Genesung
- Restsymptome sind eines der Hauptrisikofaktoren für das Auftreten einer erneuten depressiven Episode
- Je mehr depressive Phasen ein Patient bislang hatte und je kürzer die Zwischenräume zwischen den Phasen sind, umso höher ist die Rezidivgefahr
- Bestehen 2-3 oder mehr depressive Episoden inklusive bedeutsamer funktioneller Einschränkungen, so sollte das Antidepressivum in gleicher Dosierung wie in der Akutbehandlung mindestens für 2 Jahre zur Langzeitprophylaxe eingenommen werden
- Medikamente zur Rezidivprophylaxe:
- Trizyklische Antidepressiva
- SSRI
- Sertralin/Venlafaxin
- Lithiumssalze (Verfahren der zweiten Wahl, wenn Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva nicht wirksam oder nicht durchführbar ist)
- Carbamazepin (nachrangige Alternative)
- Dauer der Langzeitprophylaxe:
- Bei Bedarf mehrere Jahre
- Gabe des Antidepressivums in gleicher Dosierung wie in der Akutbehandlung
Einstufung des Therapieerfolges
- Symptomreduktion < 20 %: Klinisch irrelevanter Effekt
- Symptomreduktion 20-50 %: Teilansprechend, geringer Effekt
- Symptomreduktion > 50 %: Teilremission
- Symptomreduktion 100 %: Vollständige Remission
Definition von Symptomenveränderungen
- Ansprechen
- Minderung der depressiven Symptomatik um ≥ 50 % vom Ausgangswert bei Behandlungsbeginn
- Remission
- Vollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Funktionsniveaus/weitgehend symptomfreier Zustand nach der Akuttherapie
- Rückfall
- Wiederauftreten einer depressiven Episode innerhalb von 6 Monaten
- Vollständige Genesung
- Symptomfreie Zeit für ca. 6 Monate nach Remission
- Rezidiv
- Wiederauftreten einer depressiven Episode nach mehr als 6 Monaten
Medikamentöse Behandlung
Für die medikamentöse Behandlung depressiver Störungen stehen verschiedene Substanzklassen von Antidepressiva zur Verfügung, die unterschiedliche Wirkmechanismen auf das zerebrale Neurotransmittersystem haben.
Antidepressiva-Substanzklassen
- Unterteilt werden Antidepressiva nach der chemischen Grundstruktur beziehungsweise dem Rezeptorprofil
Tabelle: Antidepressiva-Substanzklassen (Wirkmechanismus und Substanzen) | |
Substanzklassen |
Beispiele (Aufzählung unvollständig) |
---|---|
Nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI) |
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Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) |
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Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer) |
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Selektive Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) |
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Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten |
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Selektive Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitoren |
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Melatonin-Rezeptor-Agonisten |
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Serotonin 5-HT2C-Rezeptor-Antagonisten |
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Tianeptin |
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Lithiumsalze |
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Esketamin |
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Phytopharmaka |
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Quelle: Nationale Versorgungsleitlinie unipolare Depression Version 3.1 |
Wirksamkeit von Antidepressiva
Nähere Informationen zu folgenden Punkten:
- Wirkansatz
- Studienlage
- Behandlungsvorgehen in der Therapie mit Antidepressiva
- Maßnahmen bei Nichtansprechen auf ein Antidepressivum
- Maßnahmen bei Nichtansprechen einer Psychotherapie
- Optionen bei mehrfachem Nichtansprechen
- Kombination von Antidepressivum und Psychotherapie
Wirkansatz
- Beruht in aller Regel auf der Serotoninmangel-Hypothese
- Über unterschiedliche Wege wird die Konzentration von Monoaminen (Serotonin, Noradrenalin, gegebenenfalls Dopamin) im synaptischen Spalt erhöht
- Umstritten ist, ob ein Monoamin-Mangel tatsächlich ursächlich für eine Depression ist:
- Nur ein Teil der Betroffenen spricht auf Antidepressiva an
- Ansprechen nur mit zeitlicher Verzögerung
- neuere Ansätze beziehen sich auf das Glutamatssystem (z.B. Ketamin/Esketamin)
- Die klinische Bedeutung von Antidepressiva wird von einigen Wissenschaftler*innen infrage gestellt
- Die NVL- Leitliniengruppe sieht auch weiterhin eine klinische Relevanz für Antidepressiva als gegeben an, obwohl die Wirkung zum Teil auf Placebo- und unspezifische Effekten beruht. Die Wirkungsdifferenz zu Placebo ist eher klein
- eine alleinige medikamentöse Behandlung erscheint nicht als ausreichend:
- Einbettung in ein therapeutisches Gesamtkonzept mit Grundversorgung mittels niedrig intensiven gesprächsbasierter Interventionen, psychosoziale Interventionen
- Einbettung in ein therapeutisches Gesamtkonzept mit Grundversorgung mittels niedrig intensiven gesprächsbasierter Interventionen, psychosoziale Interventionen
Studienlage
- Responserate für Antidepressiva meist zwischen 50-60 %
- Plazeboresponserate: 45-35 %
- Im Vergleich zu Placebo zeigen sich Wirksamkeitsunterschiede zumeist in Bezug auf eine höhere Rate von Respondern unter dem Verum
- Der Rückgang auf den Summenscore von Depression-Ratingskalen ist hingegen häufig nicht signifikant zwischen Verum und Plazebo
- Bei leichten Depressionen ist ein statistischer Unterschied zwischen Placebo und Antidepressiva nicht nachweisbar
- Bei mittelschweren bis schweren Depression ist der Wirkunterschied zwischen Antidepressiva und Placebo ausgeprägter
- Es kann nicht verlässlich vorausgesagt werden, bei welchen Patienten welches Antidepressivum wirkt
- 70 % aller Patienten zeigen eine Symptombesserung in den ersten beiden Wochen der Behandlung
- Zeigt sich in den ersten beiden Wochen der Therapie keine Verbesserung, so sinkt die Wahrscheinlichkeit des therapeutischen Nutzens des Medikaments auf unter 15 %
- Spätestens nach 4 Wochen sollte die Behandlung modifiziert werden
- Bis zu ca. 50 % der Wirkung von Antidepressiva beruht auf Placebo-Effekten
- 25 % der vermeintlichen Wirkung von Antidepressiva beruht auf einem positiven Spontanverlauf
- Somit ist anzunehmen, dass etwa ca. 25 % der Wirkung von Antidepressiva auf den eigentlichen pharmakologischen Effekt zurückzuführen ist
- Durch die selektive Veröffentlichung von Studien kommt es dazu, dass der Gesamteffekt bei einer antidepressiven medikamentösen Behandlung um bis zu einem Drittel überschätzt werden kann
Behandlungsvorgehen in der Therapie mit Antidepressiva
- Wenn notwendig schrittweises Aufdosieren
- 3-4 Wochen ab Gabe der Standarddosierung die Wirklatenz abwarten
- Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Effektes durch das Antidepressivum ist in den ersten 3-4 Wochen am größten
- Die Überprüfung der Wirksamkeit umfasst sowohl die depressive Symptomatik als auch Teilhabeaspekte sowie Lebensqualität
- Der Grad der Symptomreduktion entscheidet über das weitere therapeutische Vorgehen:
- Spiegelkontrolle
- Die meisten Antidepressiva werden über die Leber durch das Cytrochrom P450-System abgebaut
- Es gibt dabei Ultraschnell-Metabolisierer: Benötigen bis zu 300 % der Standarddosis
- Es gibt Langsam-Metabolisierer: Benötigen 20 % der Standarddosis
- Therapieadhärenz des Patienten beachten
- Überwindung der Bluthirnschranke: P-Glykoproteine hindern den Eintritt des Antidepressivums ins Gehirn
- Die Fortsetzung der Behandlung bei einer unwirksam medikamentösen Therapie ist unethisch / nicht rational
- Unerwünschte Nebenwirkungen beim Absetzen von Antidepressiva:
- Bei einer schnellen Reduktion der Dosis von Antidepressiva kann es zu unerwünschten Effekten kommen
- es kann sich möglicherweise eine Toleranzentwicklung und eine Entzugssymptomatik entwickeln
- Ausschleichen über einen Zeitraum von mindestens 8-12 Wochen
- Rebound-Phänomen
- Evidenzlage ist unzureichend
- erneutes Auftreten der depressiven Symptome in einem höheren Ausprägungsgrad als zuvor bzw. mit weiteren psychopathologischen Symptomen
- raschere Rückfälle
- erhöhtes Risiko für eine erneute depressive Symptomatik
- schwierig ist die Differenzierung von Rebound- Phänomenen, Absetzsyndromen von Rückfällen/Rezidiven der Grunderkrankung
- Spiegelkontrolle
Maßnahmen bei Nichtansprechen auf ein Antidepressivum
- 1/3 der Patienten reagiert nicht ausreichend auf das primär eingesetzte Antidepressivum
- 50 % der Patienten zeigen nach 8 Wochen medikamentöser Behandlung noch keine Vollremission
- Ermittlung möglicher Ursachen:
- Fehldiagnose
- Komorbiditäten/ depressiogene Komedikation
- Serumspiegel außerhalb des therapeutischen Bereiches
- mangelnde Adhärenz
- Dosiserhöhung
- Erhöhung der Dosis in Abhängigkeit von der Verträglichkeit und den Anwendungsempfehlungen
- Bei SSRI besteht keine positive Dosis-Wirkung-Beziehung
- Augmentation
- Gabe einer weiteren Substanz, die selbst kein Antidepressivum ist
- Lithium-Augmentation: Zugelassenes Augmentationsverfahren
- Durchführung mindestens 2-4 Wochen bei therapeutisch wirksamen Spiegeln
- Erhaltungstherapie für mindestens 6 Monate, wenn Lithium Wirkung zeigt
- Neuroleptika:
- Quetiapin hat Zulassung zur Indikation als Augmentativum
- Off-label-Gebrauch: Aripiprazol, Olanzapin, Risperidon
- in relativ niedrigen Dosierungen
- Wechsel/Switching
- Umsetzen von einem Antidepressivum auf ein anderes Antidepressivum
- es kann ein einmaliger Wechsel auf ein Antidepressivum mit einem anderen Wirkmechanismus angeboten werden
- Geringeres Ausmaß von unerwünschten Nebenwirkungen als bei Augmentation oder Kombinationsbehandlung
- Es besteht erheblicher Forschungsbedarf
- Aufgrund der schwachen Inzidenzlage ist von einer Aneinanderreihung immer neuer Antidepressiva abzusehen
- Kombinationsbehandlung
- Zeitgleiche Behandlung mit 2 Antidepressiva
- Einsatz bei therapieresistenten Depressionen
- Zusätzliche Gabe von Mianserin, Mirtazapin, Trazodon zu SSRI/SSNRI oder TZA in kontrollierten Studien zusätzlich antidepressiv wirksam
- Andere Kombinationsbehandlungen sind nicht durch kontrollierte Studien belegt
- Keine Evidenz in der Behandlung von > 2 Antidepressiva
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS)
- Bei Patienten und Patientinnen, die nicht auf eine Monotherapie mit einem Antidepressivum ansprechen, kann eine Behandlung mittels repetitiver transkranieller Magnetstimulation angeboten werden
- Antidepressive medikamentöse Behandlung in Kombination mit Psychotherapie
- Bei Nichtansprechen der Therapie mit einem Antidepressivum soll den Patienten und Patientinnen zusätzlich eine Psychotherapie angeboten werden
- Bei Nichtansprechen der Therapie mit einem Antidepressivum soll den Patienten und Patientinnen zusätzlich eine Psychotherapie angeboten werden
Maßnahmen bei Nichtansprechen einer Psychotherapie
- Ursachenevaluation; besteht weiterhin kein Ansprechen dann sollte ein Einsatz eines Antidepressivums erfolgen
- gegebenenfalls Intensivierung der Psychotherapie bei stabiler therapeutischer Arbeitsbeziehung
Optionen bei mehrfachem Nichtansprechen
- Unterbrechung/Beendigung der medikamentösen Behandlung
- Esketamin intranasal:
- Einsatz bei mittelgradiger bis schwerer depressiver Episode
- Ketamin i.v.:
- off-label-Behandlung
- Neurostimulatorische Verfahren:
- EKT:
Soll bei Patienten und Patientinnen bei therapieresistenten depressiven Episoden besonders im höheren Lebensalter/bei psychotischer Symptomatik angeboten werden - rTMS:
Eine repetitive transkranielle Magnetstimulation sollte bei therapieresistenten depressiven Episoden angeboten werden - im Bezug auf die transkranielle Gleichstromstimulation, die Vagus-Nerv-Stimulation und andere experimentelle neurostimulierende Verfahren liegt von Seiten der Nationalen Versorgungsleitlinie keine Empfehlung vor
- EKT:
Kombination von Antidepressivum und Psychotherapie
- Zur Behandlung einer akuten mittelgradigen depressiven Episode sollte Patienten eine medikamentöse Behandlung mit einem Antidepressivum angeboten werden
- Bei akuten schweren depressiven Episoden sollte eine Kombinationsbehandlung aus medikamentöser Therapie sowie Psychotherapie erfolgen
- Psychotherapeutische Behandlungsverfahren werden gleichwirksam wie Antidepressiva beschrieben
- Zwischen den verschiedenen Therapieverfahren zeigten sich keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede
- Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist das am häufigsten untersuchte Psychotherapieverfahren im ambulanten Bereich
- Die Wirksamkeit der KVT ist in Studien bei unipolaren depressiven Episoden bestätigt; dort liegen viele Studien vor
- Interpersonelle Psychotherapie (IPT), Verhaltenstherapie, KVT, Problemlösetherapie, soziales Kompetenztraining, psychodynamische Psychotherapie, supportive Psychotherapie zeigten sich gegenüber einer Wartegruppe signifikant überlegen
- In Verbindung mit einer Psychotherapie besteht bei den Patienten eine höhere Medikamentencompliance, geringere Abbruchquote, bessere Kooperationsfähigkeit
- Bei schweren depressiven Episoden, chronisch depressiven Patienten, rezidivierenden Depressionen sowie älteren depressiven Patienten besteht eine statistisch erhöhte Signifikanz bezüglich der Wirksamkeit der Kombinationsbehandlung von Antidepressivum in Verbindung mit Psychotherapie im Vergleich zu alleiniger pschotherapeutischer Behandlung oder monotherapeutischer Behandlung mit einem Pharmakon
- Besseres Behandlungsergebnis bei Kombinationsbehandlung von Psychotherapie und Antidepressivum in der Akutphase gegenüber alleinigem Einsatz eines Antidepressivums
- Zur Stabilisierung des Behandlungserfolges sowie zur Minderung des Rückfallrisikos sollte in der Phase der Erhaltungstherapie eine psychotherapeutische Begleitbehandlung angeboten werden
Behandlung bei leichter depressiver Episode
Quelle: Modifiziert nach Nationale Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" Version 3.1 | ||
Tabelle: Behandlungsoptionen leichte depressive Episode | ||
Niedrigintensive Interventionen / Internet- und mobilbasierte Interventionen: |
Antidepressivum |
Psychotherapie |
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Behandlung bei mittelgradiger depressiver Episode
Quelle: Modifiziert nach Nationale Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" Version 3.1 | ||
Tabelle: Behandlungsoptionen mittelgradige depressive Episode | ||
Niedrigintensive Interventionen / Internet- und mobilbasierte Interventionen |
Antidepressivum |
Psychotherapie |
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Behandlung bei schwerer depressiver Episode
Quelle: Modifiziert nach Nationale Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression" Version 3.1 | ||
Tabelle: Behandlungsoptionen schwere depressive Episode | ||
Niedrigintensive Interventionen / Internet- und mobilbasierte Interventionen |
Antidepressivum |
Psychotherapie |
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Behandlung chronischer Depressionen
- Eine chronische persistierende depressive Störung nach ICD-11 liegt vor, wenn die depressive Episode ohne Unterbrechung über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahre anhält
- In der ICD-10 wird zwischen chronischen und rezidivierenden Formen nicht unterschieden
- Eine Abgrenzung zwischen chronischer und behandlungsresistenter Depression ist unscharf
- Bislang nicht behandelte chronische Depressionen sollen entsprechend dem Ausprägungsgrad der Depression so behandelt werden, wie bei der Behandlung einer akuten depressiven Episode
- Trotz Behandlung chronifizierte Depressionen sollen gemäß den Empfehlungen zu Maßnahmen bei Nichtansprechen bzw. Therapieresistenz behandelt werden
- Die Evidenzqualität bei Patienten und Patientinnen mit chronisch/persistierender depressiver Störung wird als sehr niedrig von Seiten der NVL eingeschätzt
Behandlung wahnhafter Depressionen
- Kombinationsbehandlung aus Antidepressivum und Antipsychotikum
- Kombinationsbehandlung ist wirksamer als Monotherapie mit einem Antidepressivum
- Die durchgeführten Studien waren meist sehr klein
Psychotherapeutische Behandlung
- Die Durchführung von Psychotherapieforschung zur Klärung der Wirksamkeit ist schwieriger als bei Medikamenten. Der Effekt von Psychotherapie ist aber in zahlreichen Studien und Metaanalysen belegt.
- Der Effekt der Psychotherapie ist bei der Behandlung von depressiven Störungen zum großen Teil nicht auf die jeweiligen spezifischen therapeutischen Interventionen zurückzuführen, sondern auf unspezifische, schulen-bzw. verfahrensübergreifenden Wirk- und Einflussfaktoren
- Es gibt eine Vielzahl von therapeutischen Verfahren. Davon sind folgende für die Behandlung im Bereich der GKV als "Richtlinienverfahren" zugelassen:
- Verhaltenstherapie
- Tiefenpsychologisch fundierte Therapie
- Psychoanalyse
- Systemische Therapie
- Die am häufigsten ambulant untersuchte psychotherapeutische Behandlung betrifft die kognitive Verhaltenstherapie
- Unter der kognitiven Verhaltenstehrapie werden verschiedene Therapieansätze zusammengefasst u.a.:
- Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT)
- Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfullness Based Cognitive Therapy MBCT)
- Cognitive Behavioral Analyses System for Psychotherapy (CBASP) für chronische Depressionen
- Eine Psychodynamische Therapie kann indiziert sein, wenn Depressionen durch Verlust- bzw. Kränkungserlebnisse ausgelöst wurden, das Bindungserleben unsicher ist, kindliche Traumatisierungen oder Belastungen vorliegen
- Die Systemische Therapie legt den Behandlungsschwerpunkt auf den sozialen Kontext, in dem das depressive Erleben entstanden ist. Dabei werden Angehörige oder sonstige relevante Personen mit in die Behandlung einbezogen.
- Weitere Behandlungsverfahren, die im Geltungsbereich der GKV nicht ambulant durchgeführt werden können, sind:
- Interpersonelle Psychotherapie: Kombination von verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Konzepten in einer Kurzzeittherapie mit 12 bis 20 Einzelsitzungen
- Gesprächspsychotherapie: Sie stellt das Selbstbild und das Selbstideal in den Mittelpunkt, die bei der Depression eine Diskrepanz aufweisen.
- Auswahl des Verfahrens:
- In partizipativer Entscheidungsfindung soll geklärt werden, welches Psychotherapieverfahren adäquat zur Behandlung ist
- Es liegt bislang keine Evidenz zu differenzierten Indikationsstellung für ein jeweiliges spezifisches Verfahren für spezifische Patientinnen mit depressiven Störungen vor
- Bei ausbleibender Besserung im Bezug auf die individuellen Therapieziele soll nach ca. 8-12 Wochen eine Ursachenabklärung erfolgen
Weitere Therapieverfahren
Übersicht weitere Therapieverfahren
- Wachtherapie - Schlafentzugstherapie
- Lichttherapie
- Körperliches Training
- EKT
- rTMS
- Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS)
- Vagus-Nerv-Stimulation (VNS)
- Experimentelle neurostimulative Verfahren
Wachtherapie - Schlafentzugstherapie
- Partieller Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte oder vollständiger Schlafentzug zeigt unmittelbar positive Wirkungen
- Meist partieller Schlafentzug 1 x/Woche
- Effekte sind meist kurzfristig
Lichttherapie
- Einsatz bei saisonal abhängigen Depressionen (Winter-Depression)
- 10.000 lx über 30-40 min/Tag über mindestens 2 bis 4 Wochen
Körperliches Training
- Aerobes Ausdauertraining mindestens 30 Minuten an 5 Tagen/Woche
- An 2-3 Tagen/Woche zusätzliches Krafttraining der großen Muskelgruppen
EKT
- Wirksame Behandlung therapieresistenter und schwerer depressiver Störungen
- Nichtinvasive Behandlung
- Rascher Wirkeintritt
- Remissionen in 60-80 %
- Remissionen bei Patienten mit psychotischen Symptomen: Ca. 90 %
- Wenn 2 medikamentöse Behandlungen mit Antidepressiva unterschiedlicher Wirkstoffklassen zu keiner Verbesserung geführt haben, kann die Behandlung mit einer EKT indiziert sein
- Indikation auch bei:
- Vital bedrohlicher oder schwer suizidaler, psychotischer Situation
- Der Patient wünscht ausdrücklich die Behandlung
- Positive Vorerfahrungen mit der Behandlung
- 8-12 Behandlungen mit Durchführung von 2-3 x/Woche
- Zum Teil Auftreten von kognitiven Nebenwirkungen; in den meisten Fällen bildet sich das Defizit gänzlich zurück
- EKT als Erhaltungstherapie:
- Hohes Rückfallrisiko ohne weiterführende Behandlung
- Bei medikamentöser Therapieresistenz Indikation zur Erhaltungstherapie mit EKT gegeben
- Juristisch ist die Elektrokrampftherapie nicht von anderen medizinischen Maßnahmen zu unterscheiden
rTMS
- Nichtinvasive Behandlung ohne Narkose oder Muskelrelaxation
- Behandlungszyklus: 5 Behandlungen pro Woche über 3-6 Wochen hinweg
- Stimulierung durch ein Magnetfeld
- Nebenwirkungsarm
- Wirksamkeit durch Metaanalysen belegt
tDCS
- Nichtinvasives Verfahren ohne Narkose oder Muskelrelaxation
- Das optimale Stimulationsprotokoll wird noch derzeit untersucht
- derzeit üblich 10-15 Stimulationen innerhalb von 2-3 Wochen
VNS
- Invasives Verfahren über einen implantierten Impulsgenerator
- Behandlung bislang nur in spezialisierten Zentren
Experimentelle neurostimulative Verfahren
- Magnetkonvulsionstherapie (MKT)
- Tiefe Hirnstimulation DBS
- Craniale Elektrostimulation
- Transkranielle Wechselstromstimulation
Psychotherapeutische Behandlung bei Dysthymie, Double Depression, chronischer Depression
- Studien mit teilweise sehr kleinen Stichproben
- Behandlungszeiträume waren zum Teil relativ kurz
- Kombinationsbehandlung mit Psychotherapie und Antidepressivum ist wirksamer als Monotherapie
- Bei Dysthymie soll eine Psychotherapie angeboten werden
- Bei einer chronischen Depression, die bislang nicht behandelt wurde, soll nach den schweregradspezifischen Empfehlungen für die akute depressive Episode gehandelt werden
- Die Double Depression wird klinisch wie eine chronisch persistierende depressive Störung angesehen.
Krankheitsverlauf und Prognose
- Generell sind Depressionen durch einen episodischen Verlauf gekennzeichnet. Die Phasen sind dabei zeitlich begrenzt und können auch ohne therapeutische Maßnahmen wieder abklingen
- Ohne medikamentöse Behandlung klingen die Episoden bei unipolaren Depressionen meist nach ca. 6 bis 8 Monaten wieder ab. Die Gabe von Antidepressiva führt zu einer Verkürzung der Phasendauer und zu einer geringeren Ausprägung der Symptome. Geschätzt wird, dass die Phasendauer bei behandelten mittel- bis schwergradigen unipolaren depressiven Episoden auf durchschnittlich 16 Wochen verkürzt wird
- Depressive Störungen haben eine große interindividuelle Variabilität. Depressive Episoden können vollständig abklingen, so dass die Patienten nach Genesung völlig symptomfrei sind. Es kann aber auch zu einer unvollständigen Remission kommen, so dass eine Residualsymptomatik bestehen bleibt. Dies erhöht das Risiko für eine erneute depressive Episode
- Die Dysthymie ist gekennzeichnet durch eine mindestens seit 2 Jahren bestehende depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden Störung zu erfüllen. Aus dieser kann sich eine zusätzliche depressive Episode entwickeln, so dass man von einer so genannten doppelten Depression (Double Depression) spricht
- Eine chronische depressive Episode wird definiert durch eine länger als 2 Jahre anhaltende depressive Symptomatik (Diagnosestellung nach DSM-5)
- In einer Langzeitstudie von Kelle et al. zeigte sich eine Remissionsrate von 50% innerhalb von 6 Monaten bei insgesamt 400 behandelten Patienten. Zwei Jahre später wiesen noch 21 % der Patienten trotz weiterer antidepressiver Behandlung eine depressive Störung auf. Nach insgesamt 10 Jahren fand sich immer noch bei 7 % der Patienten eine depressive Störung. 1/3 der Betroffenen zeigte eine partielle Besserung. Ein langjähriger Krankheitsverlauf ging mit einer Restsymptomatik einher. 2/3 der Patienten erreichten 6 Monate nach Krankheitsbeginn wieder ihre gewohnte Leistungsfähigkeit; 1 Jahr später 76 %. In weiteren Studien zeigte sich, dass 15-20 % der depressiven Patienten eine Chronifizierung aufwiesen mit einer Beschwerdedauer von über 2 Jahren
- 50 % der depressiv Erkrankten erlitten in der Folgezeit eine weitere depressive Episode. Angenommen wird, dass 70-80 % der depressiven Episoden rezidivierend auftreten. Durchschnittlich werden 4 bis 6 Episoden beobachtet. Nach 2-maligen Auftreten von Krankheitsepisoden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit erneut wieder zu erkranken auf 70 %. Die Wiedererkrankungsrate nach einer dritten Episode liegt bei 90 %
Risiko- und protektive Faktoren für das Auftreten von depressiven Episoden
Risikofaktoren
- Anzahl der früheren Episoden
- Episodendauer
- Unvollständige Remission
- Ausprägungsgrad der depressiven Störung (Double Depression)
- Psychische Komorbidität
- Somatische Komorbidität
- Fehlen von vertrauensvollen persönlichen Beziehungen
- Hohes Lebensalter in Bezug auf durchgeführte Suizide
- Junges Lebensalter bei Ersterkrankung
- Weibliches Geschlecht
- Mangelnde soziale Unterstützung
- Städtische Umgebung
- Mietwohnung
Protektive Faktoren
- Dauer von gesunden Phasen
- Feste Partnerschaft
- Höheres Bildungsniveau
- Sichere berufliche Anstellung
Risikofaktoren für ungenügendes Ansprechen bzw. Nichtansprechen der Behandlung
- Genetische Aspekte
- niedriges Ersterkrankungsalter
- längere Dauer der depressiven Episode
- höhere Anzahl von Episoden
- Anzahl der Krankenhausbehandlungen
- erhöhte Suizidrisiko
- psychische Komorbiditäten
- kein frühes Ansprechen der Behandlung
- Anzahl der Therapieversuche mit Antidepressiva
- hohe Dosis der Antidepressiva
- Familienstand
Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf
- Familiäre Belastung
- früher Krankheitsbeginn
- negative Kindheitserfahrungen
- belastende Lebensumstände
- Neurotizismus
- geringes Selbstwerterleben
- Grübelneigung
- kognitive Reaktivität