Störungsspezifische Beschreibung
Im Jahr 2018 tranken die Einwohner /Einwohnerinnen Deutschlands im Alter von über 15 Jahren ca. 10,7 Liter reinen Alkohol. Der Konsum reduzierte sich im Jahr 2020 auf ca. 10,0 Liter.
Ca. 7,9 Millionen Menschen im Alter von 18-64 Jahren konsumieren Alkohol in einer riskanten Form mit einem durchschnittlichen Alkoholmenge von mehr als 12 g (Frauen) bzw. 24 g (Männer) pro Tag.
Geschätzt wird, dass es in Deutschland in der Altersgruppe der 18-64-jährigen ca. 1.4 Millionen Menschen mit Alkoholmissbrauch und ca. 1.6 Millionen mit Alkoholabhängigkeit gibt (2018).
Bis zu 200 verschiedene somatische Erkrankungen können durch exzessiven Alkoholkonsum ausgelöst werden (WHO).
Für Menschen im Alter von 15-49 Jahren ist der Alkoholkonsum weltweit der führende Risikofaktor für Mortalität. 2016 starben in Deutschland an eine ausschließlich auf den Alkoholkonsum zurückzuführenden Todesursache insgesamt 43.000 Männer und 19.000 Frauen.
Eine abstinenzorientierte Rehabilitationsmaßnahme führt in 40-80 % (unterschiedliche Berechnungsmethoden) zu einer erfolgreichen 1-Jahres -Abstinenz.
Die WHO definiert wie folgt:
- Risikoarmer Alkoholkonsum
- Männer: < 24 g reinen Alkohol / Tag
- Frauen: < 12 g reinen Alkohol / Tag
- Mindestens 2 abstinente Tage / Woche
- Riskanter Alkoholkonsum
- Männer: > 24 g reinen Alkohol / Tag
- Frauen: > 12 g reinen Alkohol / Tag
- Betrifft ausschließlich gesunde Erwachsene
- Rauschtrinken (binge drinking)
- Aufnahme großer Alkoholmengen innerhalb kurzer Zeit
- Männer: ≥ 5 Standardgetränke / Gelegenheit
- Frauen: ≥ 4 Standardgetränke / Gelegenheit
- Psychische Abhängigkeit
- Besteht in einem übermächtigen, unwiderstehlich im Verlangen nach der Suchtsubstanz
- Besteht in einem übermächtigen, unwiderstehlich im Verlangen nach der Suchtsubstanz
- Körperliche Abhängigkeit
- Gekennzeichnet durch Toleranzentwicklung mit Dosissteigerung
- Auftreten von Entzugserscheinungen
- Craving:
- Unbezwingbares Verlangen nach dem Suchtmittel
Alkoholassoziierte Krankheitsbilder (ICD-10)
- Akute Intoxikation (ICD-10: F10.0)
- Akuter Rausch
- Vorübergehender Zustand
- Schädlicher Alkoholgebrauch (ICD-10: F10.1)
- Alkoholkonsum mit nachweislich Folgeschäden der psychischen oder physischen Gesundheit durch
- Konsummuster ≥ 1 Monat oder
- In letzten 12 Monaten wiederholt aufgetreten
- Bei ca. 50 % der Personen entwickelt sich in den nächsten 5-6 Jahren eine manifeste Abhängigkeit
- Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10.2)
- ≥ 3 von 6 Kriterien müssen zeitgleich erfüllt sein:
- Starkes Verlangen/Zwang, Alkohol zu konsumieren
- Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren
- Körperliches Entzugssyndrom bei Reduktion/Absetzen des Alkohols
- Toleranzentwicklung
- Fortschreitende Vernachlässigung von Interessen zugunsten der Alkoholeinnahme
- Fortgesetzter Alkoholkonsum trotz Nachweis eindeutig schädlicher körperlicher oder psychischer Folgen
- ≥ 3 von 6 Kriterien müssen zeitgleich erfüllt sein:
- Alkoholentzugssyndrom und Delir (ICD-10: F10.3 F10.4)
- Auftreten bei relativem oder absolutem Entzug von Alkohol
- Symptome:
- Tremor
- Unruhe
- Hyperhidrosis
- Übelkeit, Erbrechen, Magenbeschwerden
- Schlafstörungen
- Muskelkrämpfe
- Kreislaufprobleme (erhöhter Sympathikotonus)
- Psychische Störungen:
- Angst
- Depressive Symptome
- Schlafstörung
- Hyperaktivität
- Reizbarkeit
- Affektlabilität
- Konzentrationsstörungen
- Entzugskrampfanfälle
- Delir
- Auftreten in der Regel 6-8 Stunden nach Beendigung des Konsums / starker Reduktion des bisherigen Alkoholkonsums
- Höchste Ausprägung der Entzugssymptomatik: 10 bis 30 Stunden
- Abklingen der Entzugssymptomatik: 40 bis 50 Stunden
- Entzugskrampf: In der Regel in den ersten 12 bis 48 Stunden
- Hochgradig ausgeprägte Entzugssymptomatik bei ca. < 5 % der Betroffenen
- Die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines schweren Alkoholentzugssyndroms erhöht sich deutlich, wenn bereits Entzüge durchgemacht wurden, ebenso die Wahrscheinlichkeit von Krampfanfällen nach Erstmanifestation
- Generell lässt sich das Auftreten entzugsbedingter Komplikationen nicht sicher vorhersagen
- Psychotische Störungen bei Alkoholabhängigkeit (F10.5)
- Auftreten während / unmittelbar nach Substanzaufnahme
- Meist nur von kurzer Dauer
- Halluzinationen
- Amnestisches Syndrom bei Alkoholabhängigkeit (F10.6)
- Korsakow-Syndrom:
- Beginnt häufig mit einer Wernicke-Encephalopathie
- Gedächtnisstörung
- Konfabulieren
- Reduzierte Auffassungsgabe
- Gegebenenfalls Orientierungsstörung
- Antriebsstörung
- Polyneuropathie
- Persönlichkeitsveränderung
- Korsakow-Syndrom:
- Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung bei Alkoholabhängigkeit (F 10.7x)
- Nachhallzustände (Flashbacks): F10.70
- Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung: F10.71:
- Stimmungslabilität
- Reizbar-aggressives Verhalten
- Minderung der Kritikfähigkeit
- Interessenverlust
- Residualaffektives Zustandsbild: F10.72
- Demenz: F10.73
- Andere anhaltende kognitive Beeinträchtigungen: F 10.74
- Verzögert auftretende psychotische Störung: F 10.75
- Wernicke-Encephalopathie (E 51.2)
- Bedingt durch Vitamin-B1-Mangel
- Bewusstseinsstörung
- Ataxie
- Augenmuskelstörungen
- Hepatische Encephalopathie (K 72.x)
- Akutes Auftreten als hepatisches Koma
- Bewusstseinsstörung
- Flapping-Tremor
- Hyperreflexie
- Chronisch kommt es zu:
- Dementiellen Entwicklungen
- Choreoathetotischen Bewegungsstörungen
Komorbide psychische Erkrankungen
Häufige psychische Komorbiditäten bei schädlichem Gebrauch von Alkohol und Alkoholabhängigkeit sind:
- depressive Syndrome
- Persönlichkeitsstörungen
- hirnorganische Beeinträchtigungen
- Schizophrenie
- bipolare Störungen
- Angsterkrankungen
- Posttraumatische Belastungsstörung
- ADHS
Somatische Störungen
- Gehirn
- Akute Alkoholintoxikation
- Entzugssymptome bis zum Delir
- symptomatische Krampfanfälle
- Wernicke-Enzephalopathie
- Korsakow-Syndrom
- Hirnatrophie
- Apoplektischer Insult
- Amnestisches Syndrom
- Paranoides Syndrom
- Hirnorganisch bedingte Persönlichkeitsveränderungen
- Zentrale pontine Myelinolyse
- Corpus Callosum Degeneration
- Kardiovaskuläre Strukturen
- Dilatative Kardiomyopathie
- Herzrhythmusstörungen
- Endokarditis
- arterielle Hypertonie
- Strukturen des Atmungssystems
- Infektanfälligkeit
- Infektanfälligkeit
- Strukturen des Verdauungsstoffwechsels und endokrinen Systems
- Leber:
- Fettleber, Hepatitis, Zirrhose, hepatozelluläres Karzinom
- Ösophagus:
- Karzinom
- Magen:
- Gastritis
- Ulcus
- Mallory-Weiß-Syndrom
- Pankreas:
- Akute Pankreatitis
- Chronische Pankreatitis
- Sekundärer Diabetes mellitus
- Gallenwege
- Mundhöhle:
- Karzinom
- Karzinom
- Leber:
- Strukturen des peripheren Nervensystems
- Polyneuropathie
- Polyneuropathie
- Risikoerhöhung für bestimmte Karzinom
- Mundhöhle
- Larynx/Pharynx
- Kehlkopf
- Ösophagus
- Leber
- Colon
- Rektum
Anamnese
Störungsspezifische Anamnese
- Zeitlicher Beginn des Erstkonsums
- Entwicklung des Trinkverhaltens
- Konsummengen, welche Alkoholika
- Konsumweise (allein, in Gesellschaft)
- Auslöser / Ursachen für den Konsum
- Abstinenzzeiten
- Rückfallgründe
- Weitere Substanzen
- Suizidalität
- Psychische Komorbidität
- Somatische Komorbidität
- Ambulante und / oder stationäre Behandlungen der Abhängigkeitserkrankung und der Komorbiditäten
- Rehabilitationsbehandlungen
- Selbsthilfe
- Nutzung und Ansprechen von Therapieoptionen
- Medikamentöse Behandlungen
- Psychotherapeutische Behandlungen
- Weitere therapeutische Behandlungsoptionen
- Krankheitseinsicht
- Motivation zur Abstinenz
Anbei finden Sie einen Link zu einem Muster für die Anamneseerhebung. Die dort gelisteten Punkte geben Hinweise auf eine vollständige Anamnese, müssen aber nicht bei jedem Krankheitsbild einzeln aufgeführt werden.
Diagnostische Maßnahmen
Weitere Informationen: Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV-Schrift 21, S.55
Apparative Diagnostik
- soweit notwendig und noch nicht erfolgt
- Laborparameter
- Weitere apparative Diagnostik. Diese sollte vor der Begutachtung erfolgt sein
- EKG
- EEG
- Oberbauchsonografie
- Evtl. CCT, MRT
- ENG/ EMG
Testpsychologische Diagnostik
- Fragebogen-Screening bezogen auf den Alkoholkonsum:
- AUDIT (Alcohol Use Disorder Identification Test)
- AUDIT-C (Kurzform)
- MALT-Test (Münchner-Alkoholismus Test)
- CAGE-Test (erste grobe Einschätzung)
- SKID (strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
- Severity of Alcohol Dependance Questionaire etc.
- Empfehlung Routine-Screening auf ADHS bei substanzbezogenen Störungen (ADHS-SB, ASRS, CAARS-S-SR)
Differenzialdiagnostik
- Andere Abhängigkeiten
- Schädlicher Gebrauch
Therapieoptionen
Medikamentöse Behandlung
Überblick der Arzneimittel zur Entzugsbehandlung
- Benzodiazepine
- Clomethiazol
- Antikonvulsiva
- Antipsychotika
- Beta-Blocker / Clonidin
- Tiapridex
- Thiamin (Vitamin B1)
Rückfallprophylaxe
- Naltrexon
- Nalmefen
- Acamprosat
- Disulfiram
Psychotherapeutische Behandlung und weitere Verfahren
- Rehabilitationsbehandlung
- Richtlinienpsychotherapie bei Abstinenz
Krankheitsverlauf und Prognose
Die Prognose ist abhängig von, vom:
- Abstinenzfähigkeit
- Ausprägungsgrad psychischer Komorbiditäten
- Ausprägungsgrad somatischer Folgeerkrankungen