Störungsspezifische Beschreibung
Die Parkinson-Krankheit ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung - gleich nach der Alzheimer-Krankheit. Schätzungen zufolge sind weltweit mindestens 6,1 Millionen Menschen von der Parkinson Erkrankung betroffen, in Deutschland ca. 200.000 - 400.000 Betroffene mit steigender Tendenz. [Quelle DZNE, Parkinson Stiftung].
Da inzwischen eine große Zahl gemeinsamer genetischer Varianten bei vermeintlich sporadisch auftretendem Parkinson Syndrom identifiziert wurden und um eine begriffliche Vereinheitlichung der internationalen Nomenklatur durchzuführen, wird in der neuen S2k-Leitlinie Parkinson-Krankheit 2023 empfohlen, den Begriff Parkinson-Krankheit (PK) anstatt "idiopathisches Parkinson-Syndrom" zu verwenden.
Die Parkinson-Krankheit tritt zumeist im höheren Erwachsenenalter auf: Die große Mehrzahl der Betroffenen ist mindestens 60 Jahre alt. Allerdings erkranken ca. 10 % schon vor dem 50. Lebensjahr. Selbst junge Menschen im Alter von 20 Jahren können betroffen sein (juveniler Parkinson). [Quelle DZNE]
Eine wesentliche Ursache für die neuro-degenerative Erkrankung ist ein Verlust an nigrostriatalen dopaminergen Neuronen im ZNS. Dieser führt zu den klassischen motorischen Kardinalsymptomen Bradykinese, Rigor und Ruhetremor und im Verlauf zur posturalen Instabilität.
Frühe Stadien der Parkinson-Krankheit sind meistens gut mit einer dopaminerg wirksamen Therapie zu behandeln. Erst mit zunehmender Neurodegeneration können motorische Komplikationen unter der laufenden dopaminergen Therapie auftreten, wie zunehmend Phasen schlechter Beweglichkeit (OFF-Phasen), plötzlich auftretende Unbeweglichkeit (Freezing) und Überbeweglichkeit (Dyskinesien). Diese motorischen Komplikationen verschlechtern signifikant die Lebensqualität und auch die berufliche Leistungsfähigkeit.
Auch die weniger beachteten nicht-motorische Symptome beeinflussen die Lebensqualität und die berufliche Leistungsfähigkeit maßgeblich.
Nach der International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) ist zur Diagnose einer Parkinson-Krankheit die Feststellung einer Bradykinese (Hypokinese, Akinese) und zusätzlich Rigor und/ oder ein (Ruhe-)tremor notwendig. Unterstützend für die Diagnose sind (s. Waldthaler, J. et al., 2019):
- Klassischer Ruhetremor
- Deutliches Ansprechen auf L-Dopa-Therapie
- L-Dopa induzierte Dyskinesien
- Zusatzdiagnostik: schwere Hyposmie/ Anosmie
- Pathologische MIBG-Szintigraphie (nuklearmedizinische Darstellung des Schadens der sympathischen kardialen Denervierung)
(Relative) Ausschlusskriterien sind:
- Medikamentöse oder toxische Ursache
- Plausible alternative medizinische Ursache
- Supranukleäre vertikale Blickparese nach unten oder selektive Verlangsamung der Sakkaden nach unten
- Zerebelläre Zeichen
- Symptome für mehr als 3 Jahre auf die unteren Extremitäten beschränkt
- Diagnose einer behavioralen Variante der frontotemporalen Demenz oder Hinweise auf kortikale sensorische Störung bei erhaltener primärer sensibler Wahrnehmung
- Nichtansprechen auf L-Dopa in ausreichend hoher Dosierung (600 mg/Tag)
- Unauffälliges FP-CIT-Spect (DAT-Scan: Darstellung der präsynaptischen Dopamin-Transporter Dichte, die bei der Parkinson Krankheit in bestimmten Arealen reduziert ist)
Red Flags sind:
- Frühe schwer beeinträchtigende Störung des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotension, schwere Blasenentleerungsstörung)
- Zeichen einer Schädigung des ersten Motoneurons
- Ausgeprägte Antecollis (übermäßige Vorwärtsflexion des Halses) oder Kontrakturen der Hände und Füße innerhalb von 10 Jahren
- Frühe posturale Instabilität und Stürze innerhalb von 3 Jahren
- Regelmäßiges Nutzen eines Rollstuhls innerhalb von 5 Jahren
- Beidseitig symmetrische Symptome im gesamten Krankheitsverlauf
- Frühe bulbäre Zeichen (Schädigung von Motoneuronen im Hirnstamm): schwere Dysphonie, Dysarthrie oder Dysphagie innerhalb von 5 Jahren
- Inspiratorische Atemstörung
- Ausbleibendes Fortschreiten der motorischen Symptome über 5 Jahre (medikamentös bedingte Stabilität ausgeschlossen)
- Ausbleiben von typischen nichtmotorischen Symptomen in den ersten 5 Krankheitsjahren
Diagnose einer etablierten Parkinson-Krankheit nach den Kriterien der MDS
- Notwendig: Mindestens 2 unterstützende Merkmale und keine Red Flags.
Diagnose einer klinisch wahrscheinlichen Parkinson-Krankheit
- Bis zu zwei Red Flags, die aber durch unterstützende Merkmale ausgeglichen sein müssen.
Sowohl ein positiver L-Dopa oder Apomorphin-Test als auch das positive Ansprechen auf die L-Dopa-Therapie im klinischen Verlauf erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine korrekte Diagnose einer Parkinson-Krankheit.
Da das klinische Urteil von Expert*innen für Bewegungsstörungen, die Wahrscheinlichkeit einer richtigen diagnostische Einordnung deutlich erhöht, ist die Vorstellung der Patient*innen im zeitlichen Verlauf bei einer Spezial-Praxis/ Ambulanz für Bewegungsstörungen zur Reevaluation in Frühstadien der PK empfohlen. (Höglinger, G. et al., 2023).
Klinisch wird ein Äquivalenztyp (bei dem Akinese und Tremor ungefähr gleichwertig auftreten) von einem akinetisch-rigiden und schließlich von einem Tremor-dominanten Typ unterschieden. Die typische Parkinson-Krankheit beginnt mit Betonung einer Körperhälfte (s. auch MDS-Kriterien Red Flags).
Stadieneinteilung der Parkinson-Krankheit
- Klinisch, in der Forschung und als diagnostisches Kriterium in der ICD-10 (s.o.) wird die modifizierte Stadieneinteilung nach Hoehn & Yahr verwendet:
Stadium / Grad |
Beschreibung |
---|---|
I |
Streng einseitige Symptome mit minimaler oder fehlender funktioneller Behinderung |
II |
Bilaterale Beteiligung ohne Gleichgewichtsstörung |
III |
Bilaterale Erkrankung: leichte oder mäßige Behinderung mit Einschränkung posturaler Reflexe (pathologischer Pull-Test), noch körperlich selbstständig |
IV |
Schwer behindernde Erkrankung, Patient noch in der Lage, ohne fremde Hilfe zu stehen oder zu gehen |
V |
Ohne fremde Hilfe an Rollstuhl gebunden oder bettlägerig |
Quelle: Oertel, W H. et al: Parkinson-Syndrome und andere Bewegungsstörungen, Anhang: 30 Skalen zur Beurteilung von Schweregrad und Beeinträchtigung bei Bewegungsstörungen, Thieme, 2012. |
Ein Nachteil dieser Stadieneinteilung ist die fehlende Berücksichtigung nicht motorischer Symptome und die fehlende wissenschaftliche Evaluation ihrer statistischen/ klinikmetrischen Eigenschaften. Sie bietet aber eine grobe Einschätzung der globalen Beeinträchtigung durch die Erkrankung.
Differenzierter ist die Unified Parkinson´s Disease Rating Scale (UPDRS), die in den 80er Jahren entwickelt wurde und 2007 durch die Movement Disorder Society (MDS) revidiert wurde: MDS-UPDRS (Movement Disorder Society-sponsored revision of the Unified Parkinson's Disease Rating Scale: Scale presentation and clinimetric testing results, †C G Goetz, B C Tilley, S R Shaftman, G T Stebbins, S F, P Martinez-Martin, W Poewe, C Sampaio, M B Stern et al., 2008, https://doi.org/10.1002/mds.22340, abgerufen am 27.12.2024).
Als primäres Parkinson-Syndrom wird traditionell die Parkinson-Krankheit bezeichnet bei der im Unterschied zum sekundären Parkinson-Syndrom keine andere Erkrankung (z.B. Enzephalitis oder M. Wilson) zugrunde liegt.
Ursache der Parkinson-Krankheit: Die Parkinson-Krankheit ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung (zu diesem Abschnitt s. DPG - Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, (https://parkinson-gesellschaft.de, letzter Aufruf: 16.07.2025). Als Ursache wird eine Degeneration Dopamin-produzierender Neurone vorwiegend in der Substantia Nigra im Mittelhirn angenommen. Dabei finden sich vermehrt Ablagerungen des Proteins Alpha-Synuklein, die als Lewy-Körperchen bezeichnet werden. Lewy-Körperchen (LK) werden aber auch in anderen Hirn-Regionen (Locus coeruleus, Nucl. Basalis, Hypothalamus, zerbraler Kortex, kraniale Motoneurone, in zentralen und in peripheren Anteilen des autonomen Nervensystems gefunden (s. Schöls, L, Riess, O et al., Dtsch Arztebl 1999; 96 (43): A-2739)).
Epidemiologie
Nach Auswertungen von Diagnosedaten gesetzlich Krankenversicherter in Deutschland durch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (https://www.versorgungsatlas.de, DOI: 10.20364/VA-22.06, letzter Aufruf: 16.07.2025) ging die Inzidenz eines diagnostizierten idiopathischen Parkinson-Syndroms in den Alterskohorten ab 50 Jahren in den Jahren 2013 bis 2019 von 149 auf 112 Neuerkrankungen pro 100.000 Patient*innen zurück. Die Autorinnen und Autoren räumen aber ein, dass eine Verzerrung und mögliche Mindererfassung dadurch möglich ist, dass z.B. Patient*innen in Selektivverträgen nicht immer zuverlässig erfasst werden. Teilweise sind vergleichbare Entwicklungen aus anderen mit Deutschland vergleichbaren Industrieländern (z.B. Niederlande) zu beobachten. Ursächlich sei möglicherweise eine Veränderung des Einsatzes und der Dosis von Pestiziden in der Agrarindustrie. Dabei steigt die Inzidenz und Prävalenz stark altersabhängig und das männliche Geschlecht überwiegt leicht.
Die Prävalenz in Deutschland wurde nach einer Studie mit Daten einiger gesetzlicher Krankenversicherungen für 2015 auf 511,4/100.000 Personen geschätzt (https://www.frontiersin.org, letzter Aufurf: 16.07.2025).
Diagnostische Klassifikation (ICD-10 GM): G20.- Primäres Parkinson-Syndrom
- G20.X0: Ohne Wirkungsfluktuation
- G20.X1: Mit Wirkungsfluktuation
Diagnose (ICD-10 GM) |
Beschreibung |
Hoehn & Yahr - |
---|---|---|
G20.0- |
Primäres Parkinson-Syndrom mit fehlender oder geringer Beeinträchtigung |
0 - < 3 |
G20.1- |
Primäres Parkinson-Syndrom mit mäßiger bis schwerer Beeinträchtigung |
3 oder 4 |
G20.2- |
Primäres Parkinson-Syndrom mit schwerster Beeinträchtigung |
5 |
G20.9- |
Primäres Parkinson-Syndrom, nicht näher bezeichnet |
n.n.b. |
Anamnese
- Störungsspezifische Beschreibung der Symptome
- Nutzung von Therapieoptionen:
- Medikamentöse Behandlungen
- Psychotherapeutische Behandlungen (ambulant und/oder stationär)
- Link zu einem Muster für die Anamneseerhebung
- Die dort gelisteten Punkte geben Hinweise auf eine vollständige Anamnese, müssen aber nicht bei jedem Krankheitsbild einzeln aufgeführt werden.
Störungsspezifische Anamnese
- Störungsspezifische Beschreibung der Symptome
- Beginn der Symptomatik wie z.B. Bradykinese, Rigor, Tremor
- Wann traten nach Beginn der medikamentösen Therapie On-Off-Phänomene auf?
- Welche Einrichtung (z.B. niedergelassener Neurologe/-in, Spezialambulanz für Bewegungsstörungen, Krankenhaus) hat die Diagnose gestellt und ggf. gesichert
- Welche apparative Diagnostik wurde durchgeführt?
- Welche Nicht-motorischen Symptome werden angegeben? Besonders kognitive und affektive Störungen aber auch Blasen- und Mastdarmstörungen können die berufliche Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen
- Nutzung von Therapieoptionen
- Medikamentöse Behandlungen: (L-Dopa, Dopaminagonisten, MAO-B-Hemmer, COMT-Hemmer, u.a.)
- Weitere therapeutische Behandlungsoptionen wie Hilfsmittel, Heilmittel, rehabilitative Verfahren
Somatische und psychische Anamnese
- Erfragung weiterer aktueller körperlicher oder psychischer Erkrankungen, ggf. Wechselwirkung zwischen psychischer Störung und somatischen Erkrankungen
- Erkrankungen in der Vorgeschichte
Vegetative Anamnese
- Inappetenz
- Schlafstörung
- Schnarchen mit Apnoephasen
- Kontinenzprobleme
- Gewichtsveränderungen
- Hyperhidrosis / Hypohidrosis
- Sexuelle Dysfunktionen
- Fatigue
Diagnostische Maßnahmen
Klinischer Untersuchungsbefund
- Allgemeiner körperlicher Untersuchungsbefund
- Weitere Informationen: Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV-Schrift 21, S. 55
Fachspezifischer Untersuchungsbefund
Die eingehende neurologische körperliche Untersuchung soll zur Beschreibung eines neurologischen Syndroms und zur Beantwortung der Frage führen, inwieweit neurologische Defizite aus fachärztlicher Sicht belegt werden können.
Neuropsychologischer und psychischer Befund
- Basisfunktionen der Kognition und psychischen Funktionen (z.B. Orientierung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen, formales Denken, Affektivität, weitergehende Information im Anhang der DRV-Schrift 21, S. 55)
- Bei Parkinson-Krankheit bietet das Montreal Cognitive Assessment (MoCA/ Nasreddine ZS, et al. The Montreal Cognitive Assessment, MoCA: a brief screening tool for mild cognitive impairment. J Am Geriatr Soc. 2005 Apr;53(4):695-9. doi: 10.1111/j.1532-5415.2005.53221.x. Erratum in: J Am Geriatr Soc. 2019 Sep;67(9):1991. PMID: 15817019) Vorteile, da es Hinweise auf Hypofrontalität differenzierter und sensitiver erfasst als der Mini Mental Status-Test (vgl. Waldthaler, J. et al., 2019).
- kann zur Klärung die berufliche und soziale Teilhabe gefährdenden neuropsychologischen (diskreten) Defiziten eine neuropsychologische Zusatz-Untersuchung / Begutachtung notwendig werden. In solchen Fällen wird empfohlen, vorab das Einverständnis des Auftraggebers (bzw. der Rentenversicherung) einzuholen
Apparative Diagnostik
- Im Rahmen der neurologischen Diagnostik (vor Begutachtung) werden regelmäßig craniale Kernspintomographie (zum Ausschluss anderer Krankheiten) und ggf. nuklearmedizinische Untersuchungen wie FP-CIT-SPECT/ DatScanTM, IBZM-SPECT, oder FDG-PET durchgeführt. Soweit diese vorliegen, sollen sie in die neurologische Beurteilung und das Gutachten mit einfließen.
- Apparative (Zusatz-) Diagnostik im Rahmen der Begutachtung für die Rentenversicherung bleibt daher Einzelfällen vorbehalten. Hier ist eine Rücksprache mit dem/ der Auftraggeber/ -in notwendig.
Differenzialdiagnostik
Komorbide der Parkinson-Krankheit bestehende somatische oder psychische Erkrankungen sollten erwogen werden. Häufig sind depressive und Angst-Störungen, beginnende dementielle Symptome, aber auch teilweise durch die Parkinson-Medikation verursachte Impulskontrollstörungen (s. u.).
Wichtig ist die Abgrenzung "atypischer Parkinson-Syndrome" wie z.B. die Multisystematrophie oder die Progressive supranukleäre Blickparese und weitere neurodegenerative Erkrankungen (s. Störungsspezifische Beschreibung > "Red flags").
Therapieoptionen
Medikamentöse Behandlung
Beachte: Im Folgenden werden Medikamente aus der DGN-Leitlinie (AWMF-Registernummer: 030/010, letzter Aufruf: 17.07.2025) zitiert, um zu veranschaulichen, wie sich die heutige medikamentöse Parkinson-Krankheit Therapie darstellen kann. Der Absatz "Medikamentöse Behandlung" - wie alle Texte des Begutachtungsportals - gibt keine Empfehlungen zur medizinischen Therapie in der Praxis und ist nur zur Unterstützung der sozialmedizinischen Begutachtung für Fragestellungen der Rentenversicherung intendiert.
Medikamentöse Therapie der motorischen Symptomatik
Zur medikamentösen Therapie der motorischen Symptomatik also Bradykinese, Rigor und Tremor werden folgende Substanzklassen verwendet (vgl. Waldthaler, J. et al., 2019 und DGN-Leitlinie)
- Fixe Kombinationen von L-Dopa + Decarboxylasehemmer (Carbidopa oder Benserazid) - retardiert oder unretardiert
- Non-Ergot-Dopamin-Agonisten: Rotigotin, Pramipexol, Pramipexol retard, Pirebedil, Ropinirol, Ropinirol retard, Apomorphin (s.c.)
- MAO-B-Hemmer: Rasagilin, Selegilin, Safinamid
- COMT-Hemmer: Entacapon, Tolcapon, Opicapon
- NMDA-Rezeptor-Antagonisten: Amantadin
Nach der aktuellen DGN-Leitlinie wird der Einsatz von ergolinen Dopaminagonisten (Bromocriptin, Cabergolin, Pergolid) wegen des ungünstigen Nebenwirkungsprofils (Induktion von Fibrosen) nicht mehr empfohlen. In der Praxis werden aber derzeit noch Patient*innen mit diesen Substanzen behandelt.
Der Einsatz von Budipin wird ebenfalls nicht mehr empfohlen und das Medikament ist nicht mehr auf dem Markt (mögliche schwere kardiale Nebenwirkungen/ vgl. DGN-Leitlinie).
Die früher üblichen Anticholinergika (u.a. Biperiden) sollen laut Leitlinie nicht mehr eingesetzt werden. In "absoluten Ausnahmefällen" kann ihr Einsatz bei Tremor erwogen werden.
Bei (körperlich) jüngeren Patientinnen und Patienten wird bevorzugt zunächst mit Dopamin-Agonisten therapiert. Bei älteren Patientinnen und Patienten wird wegen der besseren Verträglichkeit und Wirksamkeit primär mit L-Dopa / Decarboxylasehemmer-Kombinationspräparaten behandelt.
Im weiteren Verlauf der Parkinson-Krankheit kann die Therapie eskaliert werden: Medikamentenpumpentherapie (subkutane Apomorphininfusion, intestinale Levodopa-Infusion), neurochirurgische Therapie (Tiefe Hirnstimulation/ "Hirnschrittmacher").
Medikamentöse Therapie der nicht-motorischen Parkinson-Symptomatik
Der neurodegenerative Prozess führt nicht nur zum Untergang dopaminerger Neurone in der Substantia nigra, sondern betrifft auch extranigrale dopaminerge Neurone des motorischen Systems, des limbischen Systems und autonomer Nervenbahnen (s. Braak H, Rüb U, Braak E, Neuroanatomie des Morbus Parkinson, Nervenarzt, 2000, 71: 459-469). Daher ist die Parkinson-Krankheit nicht nur durch motorische Symptome, sondern auch durch neuro-psychiatrische und vegetative Symptome gekennzeichnet.
Klinisch finden sich u.a.:
- Neuropsychiatrische Symptome: depressive und ängstliche Affektstörungen. Psychotische Symptome (häufig: optische Halluzinationen), Störungen der Impulskontrolle, Dopamin-Dysregulations-Syndrom
- Neuropsychologische Defizite: Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen betreffend
- Störungen des autonomen Nervensystems (Hypotension, Obstipation, REM-Schlafstörungen, Störungen der Sexualität)
- Posturale Instabilität
Depressive und ängstliche Störungen des Affektes können zunächst auf eine Anpassung der dopaminergen Therapie ansprechen (vgl. Jöbges et al., 2004 und o.g. DGN-Leitlinie). Eine Therapie mit Pramipexol oder in zweiter Linie Rotigotin bei depressiven Störungen wird empfohlen. Der differenzierte Einsatz antidepressiver Medikamente sollte Antidepressiva mit anticholinergen (Neben-) Wirkungen vermeiden. In Frage kommen daher eher SSRI/ SNRI (vgl. DGN-Leitlinie, S. 379 ff).
Die Erfassung depressiver und ängstlicher Symptome ist wichtig, weil sie besonders in Frühstadien, die Lebensqualität stärker beeinträchtigen können als die motorische Symptomatik.
Skalen die bei der Erfassung affektiver Symptome unterstützen sind: Movement Disorder Society Unified Parkinson’s Disease Rating Scale, Teil 1 (UPDRS-I), Movement Disorder Society-Non-Motor Rating Scale (MDS-NMS), Non-Motor Symptom Scale (NMSS), Non-Motor Symptom Questionnaire (NMSQ) (aus: DGN-Leitlinie, AWMF-Registernummer: 030/010).
Folgende Depressions-Skalen werden von der MDS empfohlen, da sie an Parkinson-Patient*innen validiert wurden (s. DGN-Leitlinie):
- Beck Depressions-Inventar II (BDI-II)
- Cornell Scale for Depression in Dementia (CSDD)
- Geriatrische Depressionsskala (GDS-15)
- Hamilton Rating Scale for Depression (HAM-D)
- Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)
- Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS)
Fatigue-Symptomatik kann mit der Fatigue Severity Scale (FSS) oder dem Multidimensional Fatigue Inventory (MFI) erfasst werden.
Psychose-Symptome können im Verlauf der Parkinson-Erkrankung oder / und als Nebenwirkung der Anti-Parkinson-Medikation auftreten. Neben einer Modifikation der Parkinson-Medikation kommen ggf. Clozapin oder Quetiapin als atypische Antipsychotika in eher niedriger Dosierung zum Einsatz.
Die häufig auch in frühen Stadien der Parkinson-Krankheit auftretende Obstipation wird vorrangig mit Macrogol behandelt. Erektile Dysfunktion mit Sildenafil. Die oft der klinisch apparenten Parkinson-Krankheit vorhergehende REM-Schlafstörung (mit teilweise selbst- oder fremdverletzenden Verhaltensweisen bei ungenügender REM-Schlaf-Lähmung) kann mit Clonazepam behandelt werden (vgl. Waldthaler, J. et al., S. 40, 2019 und DGN-Leitlinie).
Zu weiteren medikamentösen Therapien zusätzlicher Parkinson-Beschwerden sei auf die zitierte Leitlinie der DGN hingewiesen.
Für gutachterliche Zwecke sind besonders medikamentös bedingte Impulskontrollstörungen zu beachten. Laut Waldthaler/ Timmermann treten bei ca. 15 % der Patient*innen unter dopaminagonistischer Therapie (also unter ergolinen und non-ergolinen Dopaminagonisten) solche Störungen auf. Diese können exzessives Glücksspiel, pathologisch-gesteigertes Sexualverhalten, übermäßiges Essen, süchtiges Einkaufen, Internetkonsum, Kleptomanie und weitere kompulsive Verhaltensweisen beinhalten. Nach ihnen muss gezielt gefragt werden, da sie verständlicherweise oft nicht spontan berichtet werden. Sie können auch forensische Probleme und gutachterliche Fragestellungen (z.B. Schuldfähigkeit) zur Folge haben. Therapeutisch wird zunächst die dopaminagonistische Therapie auf einen anderen Agonisten umgestellt oder es wird zu L-Dopa gewechselt. Auch Punding (stereotype Wiederholung sinnloser motorischer Tätigkeiten) kann unter Dopamin-Agonisten auftreten. Eher unter L-Dopa oder Apomorphin wird das Dopamin-Dysregulations-Syndrom beobachtet bei der die Patient*innen wiederholt erhöhte Dosen der dopaminergen Medikation einnehmen. Diese neuropsychiatrischen Nebenwirkungen können die soziale oder berufliche Teilhabe erheblich beeinträchtigen. Ebenso kann die dopaminerge Medikation wie aber auch die Parkinson-Krankheit selbst zu Tagesmüdigkeit und Sekundenschlaf beim Autofahren führen.
Symptomatische Therapie der Krankheitsfolgen
Zur weiteren symptomatischen Therapie bei Parkinson-Krankheit sei auf die DGN Leitlinie hingewiesen (Höglinger G., Trenkwalder C. et al., Parkinson-Krankheit, S2k-Leitlinie, 2023, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: DGN-Leitlinie Details (abgerufen am 18.07.2025)
Nicht-medikamentöse Behandlung
Die motorische Kernsymptomatik aber auch die zusätzliche Symptomatik ist nicht-medikamentösen Therapien zugänglich (DGN-Leitlinie, AWMF-Registernummer: 030/123, s. letzter Aufruf: 17.07.202). Folgende Therapien kommen dabei sowohl in der Akut-Medizin als auch in der medizinischen Rehabilitation zum Einsatz:
- Physiotherapie (auch: Laufbandtraining)
- Sport- Bewegungstherapie: z.B. Tanzen, Tai-Chi/ Qui-Gong
- Krafttraining
- Aerobes Training
- Gang- und Gleichgewichtstraining
- Ergotherapie
- Logopädie
- Psychotherapie zur Krankheitsbewältigung
- neuropsychologische Therapie
- psychosoziale Betreuung (einschl. Selbsthilfe)
- Hilfsmittelversorgung
- Neuerdings auch Exergaming: Computerspiele, die zu körperlichen Aktivitäten animieren
Die Liste dieser Therapien ist nicht abschließend. Die Wirksamkeit von Physiotherapie, Ergo- und Logotherapie wurde in Cochrane-Metaanalysen bestätigt. Diese Therapien sollten frühzeitig angewendet werden, um soziale und berufliche Teilhabe bestmöglich zu sichern.
Krankheitsverlauf und Prognose
Der Krankheitsverlauf - die Prognose - hängen bei der Parkinson-Krankheit von verschiedenen Faktoren (u.a. Alter bei Erkrankung, ggf. genetischer Subtyp der Parkinson-Krankheit, Ansprechen auf Medikation und weiteren Faktoren) ab. Eine Prognose im Einzelfall kann daher schwierig sein und sollte ggf. neurologischen Expert*innen für Bewegungsstörungen vorbehalten bleiben. Für Fragestellungen der Rentenversicherung genügen Einschätzungen zur Prognose, ob beispielsweise die berufliche Leistungsfähigkeit noch gegeben ist oder ob Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation eine positive Erfolgsprognose haben (s.u.). Allgemein kann festgehalten werden, dass durch verbesserte medikamentöse Therapiestrategien und die heute etablierte Tiefe Hirnstimulation in allen Stadien der Parkinson-Krankheit therapeutische Optionen bestehen. Derzeit gibt es aber noch keine (medikamentöse) Therapie, die die Progredienz des zugrundeliegenden neurodegenerativen Prozesses durchgreifend positiv beeinflusst. Laut Deutscher Parkinson-Gesellschaft ist unter Ausschöpfung der therapeutischen Möglichkeiten (neben medikamentöser Therapie, Physiotherapie und Logopädie auch medizinische neurologische Rehabilitation) eine annähernd normale Lebenserwartung realistisch (https://parkinson-gesellschaft.de, letzter Aufruf: 16.07.2025).