Deutsche Rentenversicherung

ICF-Grundlagen

 

ICF steht für die ...

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (https://ww.who.int).

Sie wurde im Jahr 2001 von der WHO verabschiedet und bildet damit eine der drei grundlegenden Gesundheitsklassifikationen der WHO neben der ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) und der ICHI (Internationale Klassifikation der Gesundheitsinterventionen).

Die deutsche Fassung findet sich auf der Webseite des BfArM (https://www.bfarm.de).

Die ICF kann grundlegend auf zwei Arten verstanden werden:

  1. als teilhabezentrierte Betrachtungsweise und einheitliche Sprachregelung entlang des bio-psycho-sozialen Modells und
  2. als Klassifikationssystem zur alphanumerischen Kodierung einer Momentaufnahme der Gesundheit eines Menschen mit allen dazugehörigen Komponenten.

Für die sozialmedizinische Begutachtung soll der Fokus klar auf der teilhabezentrierten Betrachtungsweise unserer Versicherten liegen.

 
 

Das bio-psycho-soziale Modell

Zentrales Bezugselement der ICF ist das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und Krankheit. Viele Behandlerinnen/Behandler und Gutachterinnen/Gutachter betrachten die Versicherten bereits heute mit einem ganzheitlichen Blick. Die ICF bietet eine Grundlage, diese ganzheitliche Betrachtungsweise strukturiert professionell zu versprachlichen.

Der Mensch als handelndes Subjekt (Aktivitäten) und als selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Mitglied in Gesellschaft und Umwelt (Teilhabe) wird ins Zentrum der Betrachtung gestellt.

Ärzt*innen konzentrieren sich "traditionell" in ihrer Arbeit auf die Bereiche Gesundheitsproblem und Körperfunktionen und -strukturen, also die bio-medizinischen Aspekte. "Neu" an der ICF ist der zusätzliche Einbezug der Kontextfaktoren und ihrer Auswirkungen auf die Aktivitäten und Teilhabe.

Aktivitäten und Teilhabe können auf den folgenden Dimensionen beschrieben werden: Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche wie Bildung, Arbeit oder wirtschaftliches Leben sowie Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Die folgende Abbildung zeigt auf, dass alle Komponenten miteinander in Wechselwirkung stehen:

Quelle: DIMDI, Das bio-psycho-soziale Modell: Komponenten der Gesundheit nach ICF

Der Blick wird von einer eher kausalen Betrachtungsweise (Krankheit → Aktivitätseinschränkung à Behinderung) weg und hin zur Funktionsfähigkeit (früher: funktionale Gesundheit) gelenkt. Diese beschreibt das Wechselspiel zwischen dem Gesundheitsproblem und der Beeinflussung durch die Kontextfaktoren.

Funktionsfähigkeit kann so verstanden werden, dass eine Person:

  • trotz einer Erkrankung all das tut oder tun kann, was von einem gesunden Menschen erwartet wird und/oder
  • sie sich in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem gesunden Menschen erwartet wird.

Dies ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtungsweise aller sozialmedizinisch relevanten Aspekte einer Person in ihrem jeweiligen Umfeld, die weit über den bio-medizinischen Ansatz hinausgeht.

Fallbeispiele zur Verortung von Befunden und anamnestisch erhobenen Informationen anhand dieses Schemas finden Sie bei den ICF-Fallbeispiele.

 
 

Kontextfaktoren - Förderfaktoren und Barrieren

Die Kontextfaktoren beschreiben die tatsächliche Lebenssituation einer Person. Zu den Kontextfaktoren gehören die Umweltfaktoren und die Personbezogenen Faktoren:

Mit Umweltfaktoren sind alle externen Gegebenheiten der Welt gemeint, in der die Person lebt.

  • Beispiele:
    • Rollstuhlrampen an der Straßenbahn
    • Verfügbarkeit von Teilzeitmodellen am Arbeitsplatz
    • Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz
    • Unterstützung durch eine Selbsthilfegruppe

Als Personbezogene Faktoren werden ihre persönlichen Eigenschaften und Attribute bezeichnet.

  • Beispiele:
    • Alter
    • Ausbildung
    • Einstellung zu Gesundheit und Krankheit
    • Bewegungsgewohnheiten
    • Wohnsituation

Diese Kontextfaktoren wirken sich auf die Funktionsfähigkeit aus:

  • positiv als Förderfaktoren, z.B. "Unterstützung durch Angehörige", "Verfügbarkeit von Hilfsmitteln" oder "optimistische Grundeinstellung der Person" oder
  • negativ als Barrieren, z.B. "soziale Isolation" oder "geringe Selbstwirksamkeitsüberzeugung".

Kontextfaktoren können die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben grundsätzlich unterschiedlich beeinflussen. Bei der sozialmedizinischen Beurteilung dürfen allerdings nur diejenigen Kontextfaktoren berücksichtigt werden, die mit dem Gesundheitsproblem in Zusammenhang stehen. Dies müssen Gutachter*innen im Einzelfall prüfen.

Umweltfaktoren mit Bezug zu den konkreten Arbeitsbedingungen und -anforderungen sind beispielweise:

  • Schicht- oder Akkordarbeit
  • Tätigkeiten mit besonderer körperlicher oder psychomentaler Belastung
  • Tätigkeiten mit hoher Verantwortung

Persönliche Wünsche, berufliche Neigungen, Arbeitslosigkeit oder finanzielle Vorstellungen dürfen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben keine Rolle spielen.

Anmerkung: Während die restlichen Komponenten in der ICF durch die WHO differenziert ausformuliert wurden, steht eine solche internationale Übereinkunft für die Personbezogenen Faktoren nicht zur Verfügung. Seitens der WHO wird als Rationale die hohe soziokulturelle Diversität weltweit angeführt. Für den deutschsprachigen Raum wurde eine Systematik der Personbezogenen Faktoren durch eine Arbeitsgruppe der DGSMP veröffentlicht, auf die als Referenz zurückgegriffen werden kann.

 
 

ICF-Begriffsglossar

Gesundheitsproblem

Der Terminus Gesundheitsproblem (engl. "health condition") stellt den Bezug zur ICD her. Er umfasst Krankheiten, Verletzungen und Traumata, aber auch weitere gesundheitsrelevante Zustände wie z.B. Schwangerschaft oder genetische Prädispositionen.

Körperfunktionen

Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen einschließlich der psychologischen Funktionen.

Körperstrukturen

Körperstrukturen sind Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Teile.

Schädigungen

Schädigungen sind Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oder -struktur im Sinn einer wesentlichen Abweichung oder eines Verlustes. Psychische Störungen werden in der ICF ebenfalls auf der Ebene der Körperfunktionen eingeordnet.

Aktivitäten

Eine Aktivität bezeichnet die Ausführung einer Aufgabe oder Handlung in einem Lebensbereich durch eine Person.

Teilhabe

Teilhabe ist das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation bzw. einen Lebensbereich und beinhaltet unabhängigen, gleichberechtigten und selbstbestimmten Zugang, Integration und Daseinsentfaltung. Teilhabe enthält eine subjektive Komponente im Sinne der erlebten gesundheitsbezogenen Lebensqualität in Lebensbereichen.

Funktionsfähigkeit

Funktionsfähigkeit ist ein Oberbegriff für Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Teilhabe. Sie bezeichnet die positiven Aspekte der Interaktion zwischen einer Person (mit einem Gesundheitsproblem) und ihren Kontextfaktoren. Funktionsfähigkeit kann so verstanden werden, dass eine Person trotz einer Erkrankung all das tut oder tun kann, was von einem gesunden Menschen erwartet wird und/oder sie sich in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem gesunden Menschen erwartet wird.

Kontextfaktoren

Kontextfaktoren bilden den Lebenskontext einer Person ab, vor dessen Hintergrund der Gesundheitszustand einer Person evaluiert wird. Sie werden unterteilt in Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren.

Umweltfaktoren

Umweltfaktoren beziehen sich auf die physikalische, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der die Menschen ihr Leben gestalten.

Personbezogene Faktoren

Personbezogene Faktoren sind der spezielle Hintergrund des Lebens und der Lebensführung eines Menschen und umfassen Gegebenheiten des Menschen, die nicht Teil ihres Gesundheitsproblems oder -zustands sind.

Barrieren

Kontextfaktoren mit negativen Auswirkungen auf die Aktivitäten und Teilhabe.

Förderfaktoren

Kontextfaktoren mit positiven Auswirkungen auf die Aktivitäten und Teilhabe.