Deutsche Rentenversicherung

Nierenerkrankungen

Sozialmedizinische Beurteilung
Stand: 17.07.2023

Sozialmedizinische Beurteilung

Begutachtung des medizinischen Rehabilitationsbedarfs

Aufgrund der deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität von Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen, besteht bei diesen ein erheblicher Bedarf an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Rehabilitationsziele liegen besonders bei frühzeitigen Rehabilitationsmaßnahmen in dem bestmöglichem und langfristigen Erhalt des physischen und psychischen Leistungsvermögens. Dabei sind die individuellen Reha-Ziele abhängig vom Stadium der Nierenerkrankung, von bestehender Dialysepflicht oder der Transplantatfunktion.

Medizinische Rehabilitationen können im Prädialysestadium zu einem verbesserten körperlichen Leistungsvermögen führen und das Selbstmanagement verbessern. Dadurch kann die Progredienz der Erkrankung verzögert werden und das Leistungsvermögen im Erwerbsleben länger erhalten bleiben.

Begutachtung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Ist eine Nierenerkrankung im Kindes- und Jugendalter bekannt, so sollte dies bei der Berufswahl beachtet werden. Berufe mit mittelschweren oder schweren körperlichen Belastungen sollten nicht ergriffen werden, ebenso nicht Berufe mit Nachtschichtpflicht. Berufe mit Exposition hinsichtlich Nässe, Kälte, Zugluft und mit möglichen Infektionsquellen (Abfallwirtschaft, Klärwerke, Tierpflege, Landwirtschaft, Gartenbau) sind ebenfalls ungünstig. Tritt eine Nierenerkrankung mit relevanter Niereninsuffizienz im Erwachsenenalter auf, so ist häufig ein Wechsel der Arbeitstätigkeit notwendig. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) kommen dann in Betracht.

 
 

Begutachtung des Leistungsvermögens

Eine Verschlechterung der Nierenfunktion führt zu Veränderungen hinsichtlich der Beurteilung der verschiedenen sozialmedizinischen Aspekte (Belastung und Beanspruchung, Arbeitsschwere, Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Arbeitsweg, Arbeitsumgebung, Kontextfaktoren). Zur Beurteilung des Leistungsvermögens müssen daher aktuelle Unterlagen des Patienten zu Anamnese, Diagnostik, Therapie und Verlauf einbezogen werden.

Das sozialmedizinische Leistungsvermögen im Erwerbsleben hängt in der Regel vom Stadium der Niereninsuffizienz ab. Es kann individuell jedoch sehr unterschiedlich sein, so dass die sozialmedizinische Begutachtung auf Basis der jeweiligen Fähigkeiten und Funktionseinschränkungen der zu Begutachtenden erfolgt.

Sowohl bei einer Nierenerkrankung mit relevanter Niereninsuffizienz, bei einer Nierenerkrankung und gleichzeitig hoher Proteinurie und bei Zustand nach Nierentransplantation muss der Infektionsschutz am Arbeitsplatz beachtet werden.

Die Exposition gegenüber nephrotoxischen Substanzen am Arbeitsplatz muss unbedingt vermieden werden. Hierbei sind bestimmte Schwermetalle zu nennen (Blei, Cadmium, Quecksilber, Arsen, Nickel, Chrom, Uran, Gold). Es werden nephrotoxische Substanzen zum Teil bei der medizinischen Diagnostik und Therapie verwendet (verschiedene Antibiotika, verschiedene Zytostatika und das im CT oder bei Angiographien verwendete Kontrastmittel).

Die Arbeitsschwere muss in der Regel mit zunehmender Niereninsuffizienz angepasst werden. Bereits im Niereninsuffizienzstadium 3 kann es zur Ausbildung einer renal bedingten Osteopathie kommen. Aufgrund dessen dürfen dann nur noch leichte körperliche Arbeiten ausgeführt werden. Physiotherapeutische Beübung oder Rehabilitationssport mit gezieltem Muskelaufbau und gezielter Stärkung der Knochensubstanz kann auf Dauer notwendig sein.

Bei einer Nierenerkrankung mit relevanter Niereninsuffizienz sollte Nachtarbeit vermieden werden. Auch Schichtarbeit (Frühschicht und Spätschicht) und taktgebundene Arbeit sind als zusätzliche Stressoren zu beachten. Die Arbeitszeit selbst ist anfangs nicht eingeschränkt. Ab einem Niereninsuffizienzstadium 4 oder bei Dialysepflicht ist die Arbeitszeit in aller Regel mindestens auf 3 bis unter 6 Stunden reduziert. Dialysepflichtige Patienten sind nicht selten als vollständig erwerbsunfähig einzustufen. Diese Einschränkung der Arbeitszeit wird unter Umständen nach einer Latenzzeit von zwei Jahren nach erfolgreicher Nierentransplantation (Niereninsuffizienz Stadium 1-3) nach erneuter Begutachtung wieder aufgehoben (Heilbewährung).

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen mit arterieller Hypertonie

Bei der essentiellen arteriellen Hypertonie bleibt das quantitative Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr in aller Regel erhalten. Dies ist auch so bei der sogenannten therapierefraktären arteriellen Hypertonie. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann durch eine 4- oder 5-fach Kombination eine stabile Blutdruckeinstellung hergestellt werden. Ambulante oder stationäre Rehabilitationsverfahren sind hier angezeigt, um bei nicht medikamentösen Behandlungsverfahren (Sport, Entspannung, Gewichtsreduktion, Alkoholkarenz, natriumarme Ernährung) eine nachhaltige Verhaltensänderung zu bewirken und die Medikamententreue zu festigen. Über die Arbeitsschwere und Teile der Arbeitsorganisation (Schichtarbeit, taktgebundene Arbeit) muss bei der essentiellen Hypertonie im Einzelfall entschieden werden.

Bei der sekundären arteriellen Hypertonie geht es darum, die Ursachen herauszufinden, entsprechend zu therapieren und damit die arterielle Hypertonie zu beseitigen.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen mit relevanter Proteinurie

Viele verschiedene Nierenerkrankungen können eine pathologisch hohe Eiweißausscheidung im Urin verursachen. Proteinurien mit weniger als 1.000 mg/24h verursachen nahezu keine Symptome. Proteinurien im nephrotischen Bereich (mehr als 3500 mg/24h) verursachen in den meisten Fällen Symptome. Es kommt zu Ödembildung und zu einem verminderten Leistungsvermögen im Erwerbsleben. Es kann weiterhin zu einer Immunschwäche und zu einer Hyperkoagulopathie mit Thromboseneigung kommen. Es zeigt sich meist eine arterielle Hypertonie und eine Dyslipidämie. Der Verlust an Proteinen über den Urin kann quantitativ nicht vollständig und qualitativ nicht äquivalent ersetzt werden.

Das qualitative und quantitative Leistungsvermögen kann eingeschränkt sein. Prognostisch für den renalen Verlauf ist, ob durch eine Therapie (Steroide, Immunsuppressiva, monoklonale Antikörper) eine (Teil-)Remission erreicht werden kann. Kann keine Remission erreicht werden, so ist über Monate oder wenige Jahre mit einem terminalen Nierenversagen zu rechnen. Kann eine (Teil-)Remission erreicht werden, so ist das quantitative Leistungsvermögen meist wiederhergestellt. Ist eine immunmodulierende Therapie auf Dauer notwendig, so sind die Arbeitsschwere und Teile der Arbeitsorganisation (Schichtarbeit, taktgebundene Arbeit) meist eingeschränkt. Auf einen ausreichenden Infektionsschutz am Arbeitsplatz ist zu achten. Unter Umständen ist ein Arbeitsplatzwechsel notwendig. Es sollte dann eine LTA empfohlen werden.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen mit Niereninsuffizienz Grad 2 und 3a

Eine Niereninsuffizienz Grad 2 oder 3a bedeutet, die GFR beläuft sich von 89 bis 45 ml/min. Es wird angenommen, dass keine pathologisch hohe Proteinurie vorliegt. Bei einer Nierenerkrankung in den genannten Niereninsuffizienzstadien ist das qualitative und quantitative Leistungsvermögen in aller Regel nicht eingeschränkt. Die Arbeitsschwere und die Arbeitszeit sind in der Regel nicht eingeschränkt. Ein besonderer Infektionsschutz am Arbeitsplatz muss nicht eingehalten werden.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen mit Niereninsuffizienz Grad 3b und 4

Menschen mit verschiedenen Nierenerkrankungen in den genannten Niereninsuffizienzstadien weisen bereits viele pathologische Befunde auf. Die inkretorischen Nierenfunktionsleistungen sind in Teilen oder auch insgesamt bereits eingeschränkt. Meist kommt es zu einer relevanten Anämie. Es kommt in nahezu allen Fällen zu einer Dysbalance von S-Calcium und S-Phosphat mit nachfolgend sekundärem Hyperparathyreoidismus und einer sich entwickelnden renalen Osteopathie. Oft besteht bereits eine metabolisch bedingte Azidose. Begleitend bestehen eine arterielle Hypertonie und eine akzelerierte Arteriosklerose.

Das quantitative Leistungsvermögen ist im Einzelfall unterschiedlich stark eingeschränkt. Meist eingeschränkt ist das qualitative Leistungsvermögen: die Arbeitsschwere und Teile der Arbeitsorganisation (Schichtarbeit, taktgebundene Arbeit). Ein adäquater Infektionsschutz am Arbeitsplatz muss eingehalten werden. Unter Umständen ist ein Arbeitsplatzwechsel notwendig. Es sollte dann eine LTA empfohlen werden.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen mit terminaler Niereninsuffizienz und mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz (Hämodialyse/Peritonealdialyse)

Terminale Niereninsuffizienz bedeutet, dass die GFR weniger als 15 ml/min beträgt. Dialysepflicht besteht bei einer lebensbedrohlichen metabolischen Azidose, symptomatischer Volumenüberladung, lebensbedrohlicher Hyperkaliämie oder manifester Urämiesymptomatik (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen), wenn die Entgiftungsfunktion der Nieren nahezu aufgehoben ist. Wenn eines der genannten Kriterien vorliegt, muss mit der Dialysetherapie begonnen werden. Hämodialyse und Peritonealdialyse sind gleichberechtigt. Die Peritonealdialyse wird selbständig durchgeführt. Die chronisch intermittierende Hämodialyse wird in Zentren, teilstationär in Krankenhäusern, in seltenen Fällen auch selbstständig zu Hause durchgeführt.

Die Beutelwechsel bei der Peritonealdialyse werden in der Regel selbständig zuhause, unterwegs oder am Arbeitsplatz durchgeführt. Die hygienischen Voraussetzungen müssen jedoch gegeben sein, und es muss hygienisch einwandfrei gearbeitet werden, damit keine Peritonitis entstehen kann. Bei der Peritonealdialyse gibt es ein zeitliches Limit. Das Bauchfell, welches als Dialysemembran dient, verändert sich im Laufe der Jahre. Nach mehrjähriger Bauchfelldialysebehandlung können sklerotische und fibrotische Veränderungen am Bauchfell auftreten, so dass eine adäquate Filtration und Entgiftung nicht mehr möglich sind. Der Wechsel zur Hämodialyse ist dann unvermeidlich. Idealerweise reicht aber die Peritonealdialysezeit zur Überbrückung bis zur Transplantation aus.

Das quantitative Leistungsvermögen ist bei terminaler Niereninsuffizienz und bei Dialysepflicht eingeschränkt. Es ist jedoch nicht immer komplett aufgehoben. Oft ist es möglich, 3 bis unter 6 Stunden, in seltenen Fällen - bei entsprechender Übereinstimmung mit der Selbsteinschätzung des Patienten – auch in Vollzeit zu arbeiten. Die Arbeitsschwere ist eingeschränkt. Es kann lediglich eine leichte körperliche Arbeit ausgeführt werden. Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr sind zu vermeiden. Über Schichtdienst muss im Einzelfall entschieden werden. Nachtschichten sind in aller Regel nicht möglich. Auf einen ausreichenden Infektionsschutz am Arbeitsplatz ist zu achten. Bei der Begutachtung müssen die Dauer der Dialysepflicht und Dialysebedingungen, die Begleiterkrankungen, der Ernährungs- und Trainingszustand beachtet werden. Die Einschränkung durch die Dialyse-pflicht wird subjektiv wahrgenommen. Die objektiven Einschränkungen bei der Hämodialyse sind die festen Dialysetage und -zeiten. Pro Woche werden zwischen 15 und 20 Stunden investiert (3 × 4-5 Stunden Dialyse, zusätzlich Vorbereitung und Nachbereitung, zusätzlich An- und Abfahrtszeiten). Die Einschränkungen bei der Peritonealdialyse sind bei der CAPD die vier- bis sechsstündlichen Beutelwechsel, bei der APD die nächtliche Dialysezeit. Um bei bestehender Peritonealdialysepflicht mit CAPD weiter arbeiten zu können, muss am Arbeitsplatz ein Raum eingerichtet werden, der den Hygienerichtlinien für die Durchführung eines Beutelwechsels entspricht. Um der komplexen Situation einer terminalen Niereninsuffizienz gerecht zu werden, bedarf es einer eingehenden sozialmedizinischen Evaluation möglicherweise im Setting einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen nach Nierentransplantation

Bei Menschen nach einer Transplantation kommt es in aller Regel zu einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit von 3-6 Monaten. Die Menschen werden transplantiert, sind bei komplikationslosem Verlauf zwischen 10 und 20 Tagen im Transplantationszentrum stationär und werden danach in der Regel drei bis fünf Wochen stationär rehabilitiert. Erforderlich ist eine Rehabilitationseinrichtung, die von einem Facharzt/einer Fachärztin für Nephrologie geführt wird. Auch die ggf. notwendige Vertretung desselben durch einen zweiten Facharzt für Nephrologie ist nicht nur für die konsistente Begutachtung des Leistungsvermögens, sondern auch für die stets zeitnahe Intervention zum Organerhalt wichtig. Die Nierenretentionswerte und die Blutspiegel der Immunsuppressiva müssen 2- bis 3-mal wöchentlich kontrolliert und interpretiert werden. Die Patienten werden physisch und psychisch rehabilitiert und trainiert. Die Patienten werden auf den Wiedereintritt ins Arbeitsleben vorbereitet.

Die Transplantation führt in aller Regel nicht zu einer vollständigen Wiederherstellung der Nierenfunktion. Nach Transplantation besteht meist weiterhin eine Niereninsuffizienz im Stadium 2 oder 3. Es kommt innerhalb von 10-15 Jahren zu einer zunehmenden Niereninsuffizienz und schließlich zu einem Transplantatversagen. In seltenen Fällen (ca. 10 % der Fälle) kommt es zu einem Langzeittransplantatüberleben. In sehr seltenen Fällen, in ca. 1 % der Fälle, kommt es innerhalb des ersten Jahres schon zu einem kompletten Transplantatversagen.

Das quantitative Leistungsvermögen bei Zustand nach Transplantation mit einer resultierenden Niereninsuffizienz 2 oder 3 ist meist nicht bis wenig eingeschränkt. Es ist auf Dauer eine leichte körperliche Tätigkeit möglich. Ein ausreichender Infektionsschutz am Arbeitsplatz ist bei dauerhafter Immunsuppression Voraussetzung für den Wiedereintritt ins Arbeitsleben. Dies muss auch bei Tätigkeiten mit häufigem Personenverkehr/Tätigkeiten mit Kindern beachtet werden. Arbeiten in Kälte, Nässe und unter großen Temperaturschwankungen sind nicht möglich. Abhängig von dem physischen und psychischen Allgemeinzustand des Patienten nach Transplantation und der Komorbiditäten kann das quantitative Leistungsvermögen aber auch eingeschränkt sein. Um der komplexen Situation nach einer Transplantation gerecht zu werden, bedarf es einer eingehenden sozialmedizinischen Evaluation möglicherweise im Setting einer stationären Rehabilitations-maßnahme direkt nach Transplantation als auch im Langzeitverlauf.

Sozialmedizinische Begutachtung bei Menschen nach einseitiger Nephrektomie im Rahmen einer Nierenspende

Im Rahmen der Nierenlebendspende kommt es in aller Regel zu einer 6-8-wöchigen Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Das qualitative Leistungsvermögen (Arbeitsschwere, Arbeitsschichten) kann bis zu einem Jahr eingeschränkt sein. Auf Dauer ist das quantitative und qualitative Leistungsvermögen nicht eingeschränkt. Eine Nierenlebendspende wird nur dann durchgeführt, wenn präoperativ davon ausgegangen werden kann, dass nach dem Eingriff keine Krankheit für den Spender resultiert. Im Einzelfall und bei komplikationsträchtigem Verlauf können eine Krankheit bzw. eine Niereninsuffizienz auftreten. Diese können zu Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben führen. Auch psychische Beeinträchtigungen können auftreten, die dann eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung erfordern.

Nierenerkrankungen und Straßenverkehr

Bei Dialysepatienten ist die Voraussetzung für eine Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1 eine entsprechend positive Begutachtung mit der gleichzeitigen Bedingung einer ständigen ärztlichen Betreuung und Kontrolle. Die verantwortliche Straßenverkehrsbehörde fordert jährliche Nachbegutachtungen. Unter besonders günstigen Bedingungen nach entsprechender Begutachtung können auch die Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 2 gegeben sein.