Indikation
Krankheiten der Nieren betreffen rund 10 % der Bevölkerung. Eine chronische Nierenerkrankung (CKD, chronic kidney disease) liegt vor, wenn Abweichungen von der normalen Struktur oder Funktion der Nieren länger als drei Monate bestehen und sich auf den Gesundheitszustand auswirken. Der Begriff CKD erfasst die Bedeutung von krankheitsrelevanten Schädigungen der Niere in einem umfassenden Sinn, d. h. es werden insbesondere die aufgrund der CKD resultierenden unterschiedlichen Störungen der Nierenfunktion (nephrologische Krankheitsbilder) berücksichtigt. Betroffen sind die eigentliche Harnbildung, der Wasserhaushalt, die Regulation der Elektrolyte und Mineralstoffe, der Säure-Basen Haushalt, die Regulation des Blutdrucks sowie die Erythropoese. Im Folgenden sind einige Beispiele renaler Folgeerkrankungen skizziert:
Folgeerkrankungen
Eine arterielle Hypertonie tritt oft bereits frühzeitig im Verlauf einer chronischen Nierenerkrankung auf und führt zu einer deutlichen Erhöhung des kardiovaskulären Risikos. Verantwortlich für die Hypertonie ist ein übermäßig stimuliertes Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS), eine gesteigerte Sympathikusaktivität und ein sich entwickelnder Volumenhochdruck. Bei einer chronischen Nierenerkrankung kommt es mit zunehmender Niereninsuffizienz zu schwerwiegenden Veränderungen im Mineral- und Knochenstoffwechsel. Diese Veränderungen betreffen die Serum-Phosphat- und -Kalziumspiegel sowie den Vitamin D- und Parathormonhaushalt. Es kommt zu verschiedenen Formen der renalen Osteodystrophie (Osteitis fibrosa, Osteomalazie, Mischformen). Der gestörte Mineralstoffwechsel führt zu einer akzelerierten Arteriosklerose mit Gefäßkalzifizierungen. Eine renale Anämie entsteht durch eine verminderte renale Erythropoetinsynthese und einen Eisenmangel. Urämietoxine führen zu einer chronischen Inflammation. Bei einer CKD entsteht mit zunehmender Niereninsuffizienz zudem eine metabolische Azidose durch die verminderte Ausscheidung von Säuren und unzureichender Generierung von Bicarbonat.
Ursachen und Risiken
Die häufigsten Ursachen für eine fortschreitende Niereninsuffizienz sind Diabetes mellitus und ein nicht kontrollierter Bluthochdruck. Die Niere wird dabei sekundär geschädigt. Durch die Zunahme von Übergewicht, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Gefäßerkrankungen in der Bevölkerung steigt jährlich die Zahl an Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung mit einer relevanten Niereninsuffizienz. Die häufigsten Ursachen für eine terminale, dialysepflichtige Niereninsuffizienz in Deutschland sind in der folgenden Tabelle aufgeführt.
Tabelle: Diagnoseverteilung bei terminaler Niereninsuffizienz (Prävalenz) im Jahr 2020 | |
Diabetes mellitus Typ I und II |
30-40 |
---|---|
Vaskuläre Nephropathie |
20 |
Glomerulonephritis |
15 |
Tubulointerstitielle Nephritis |
10 |
Zystennieren (ADPKD) |
5-7 |
Andere Ursachen |
10 |
QuelIe: QTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen): Nierenersatztherapie in Deutschland: |
Mit zunehmender Niereninsuffizienz kommt es oft zu einer Abnahme der allgemeinen Leistungsfähigkeit und damit zu einer sozialmedizinischen Minderung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Symptome sind muskuläre Schwäche, Appetitlosigkeit mit Malnutrition und Polyneuropathie-bedingte Schmerzen. Bei Ultrafiltrationsverlust der Nieren entwickeln sich Ödeme. Aufgrund der Leistungseinbußen kann es zu psychischen Beeinträchtigungen kommen. Begleiterkrankungen wie arterielle Hypertonie mit Blutdruckentgleisungen, renal bedingte Osteopathie mit erhöhtem Risiko für Frakturen, Immundefizienz mit wiederholten Infekten und erhöhter Vulnerabilität der Haut beeinträchtigen zusätzlich das Leistungsvermögen.
Ab einer Niereninsuffizienz im Stadium 3 ist das Mortalitätsrisiko der Patienten erhöht. Die häufigsten Todesursachen von Dialysepatienten sind Herzinsuffizienz, maligne Herzrhythmusstörungen und Herzinfarkte. Daneben sind Infekte (Pneumonie, Harnwegsinfekte, Dialysezugang-assoziierte Infekte) für die Übersterblichkeit verantwortlich. Die Übersterblichkeit kann jedoch deutlich reduziert werden. Dies gelingt, wenn Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung Selbstverantwortung für die Erkrankung entwickeln und eine hohe Therapieadhärenz erzielen: die Adhärenz für die nicht medikamentöse Therapie und die Adhärenz bezüglich der Medikamenteneinnahme. Schulungsinhalte der nichtmedikamentösen Therapie sind Wissensvermittlung zu Aufbau und Funktionen der Nieren, Schädigungen der Nieren und deren Folgen. Weiterhin geht es um die Bedeutung protektiver Faktoren wie gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität oder Blutdruckselbstmessungen und deren Umsetzung im Alltag. Gerade die Integration von Bewegung in den Alltag ist von großer Bedeutung. Beispiele für entsprechende Interventionen sind das Bewegungsprogramm der 10000 Schritte pro Tag, die Sport- und Physiotherapie nach den Richtlinien von ReNi e. V. (Rehabilitationssport für chronisch Nierenkranke) sowie die allgemeine Empfehlung von mindestens 5 x 30 Minuten moderatem Ausdauertraining pro Woche.
Regelmäßige ambulante oder stationäre Rehabilitationsleistungen zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit und der sozialen Teilhabe sollten durchgeführt werden. Das vorrangige Ziel ist dabei, die Teilhabe am Erwerbsleben zu sichern. So soll bei Fortschreiten der Erkrankung bis hin zu terminaler Niereninsuffizienz die Erwerbsfähigkeit so lange wie möglich aufrechterhalten bleiben. Unter stationären Bedingungen ist eine ganzheitliche Unterstützung durch das interdisziplinäre Rehabilitations-Team unter engmaschiger ärztlicher Betreuung möglich. Durch örtliche Veränderung heraus aus der bekannten Sozialstruktur und Umgebung können neue Perspektiven generiert werden.
Einteilungen
CGA-Klassifikation
Die CGA-Klassifikation (s. Abbildung) wurde von der Organisation KDIGO (kidney disease: improving global outcomes) erarbeitet. Die CGA-Klassifikation erfasst die verschiedenen chronischen Nierenerkrankungen, den Grad der Niereninsuffizienz und die Ausprägung der Albuminurie. Das "C" steht für den Grund, die Causa, der Nierenerkrankung. Das "G" steht für die aktuell vorliegende Glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Das "A" steht für die aktuell vorliegende Albuminurie. Die Klassifikation zeigt das jeweilige Risiko für ein progredientes Nierenversagen an.
In Gutachten für gesetzliche Leistungsträger wie GKV und DRV zur Feststellung von Rehabilitationsbedürftigkeit und in Rehabilitationsentlassungsberichten nach medizinischer Rehabilitation mit Beurteilung des sozialmedizinischen Leistungsvermögens im Erwerbsleben sollte die CGA-Klassifikation verwendet werden, da diese das Ausmaß der CKD auf den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen besser erkennen lässt.
Abbildung: Risikostratifizierung für ein progredientes Nierenversagen
Erläuterung: Rot, sehr hohes Progressions-Risiko; orange, hohes Progressions-Risiko; gelb, moderates Progressions-Risiko; grün, niedriges Progressions-Risiko
Quelle: Levin A, Stevens PE, Bilous RW et al. Kidney disease: Improving global outcomes (KDIGO) CKD work group. KDIGO 2012 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney Int. Suppl. 2013; 3: 1-150
Stadien der Niereninsuffizienz
Die Niereninsuffizienzstadien und die entsprechende Glomeruläre Filtrationsrate zeigt die angefügte Tabelle. Ein Niereninsuffizienzstadium 1 besteht bei erhaltener GFR.
Eine Glomerulonephritis hat bei Erkrankungsbeginn eine erhaltene GFR, jedoch eine pathologisch hohe Proteinurie und ein nephritisches Urinsediment. Das Niereninsuffizienzstadium 3 wird noch einmal in 3a und 3b unterteilt. Die GFR im Stadium 3a beläuft sich von 59 bis 45 ml/min., im Stadium 3b von 44 bis 30 ml/min. Das Niereninsuffizienzstadium 5 ist das Terminalstadium. Ist der Patient dialysepflichtig, kann das Stadium als 5D bezeichnet werden. Ist der Patient transplantiert, kann an die CGA-Klassifikation ein "T" angefügt werden (z. B. G3b A2 T).
Tabelle: Stadien der Niereninsuffizienz | |
Stadium |
GFR in ml/min |
---|---|
1 |
120 – 90 |
2 |
89 – 60 |
3 |
59 -30 |
4 |
29 -15 |
5 |
< 15 |
Quelle; : Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Levin A, Stevens PE (2013) Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney International Supplements 3 |
Schweregrad der Albuminurie
Die Schweregradeinteilung einer Albuminurie zeigt die begeifügte Tabelle. Es wird unterschieden zwischen Albuminurie und Gesamtproteinurie. Nach einer Mikroalbuminurie wird gesucht, um die Frühphase einer renalen Erkrankung zu erfassen. Bei den Glomerulonephritiden kommt es häufig zu einer hohen Gesamtproteinurie (zw. 1-15 g/24h bzw. g/g Kreatinin), so dass in aller Regel die Albuminurie separat nicht mehr bestimmt wird.
Tabelle: Schweregrad der Albuminurie | ||
Albuminurie in mg/24h, bzw. mg/g Kreatinin |
Stadium |
Klinik |
---|---|---|
< 30 (Normalalbuminurie) |
A1 |
symptomlos |
30 - < 300 (Mikroalbuminurie) |
A2 |
symptomlos |
> 300 (Makroalbuminurie) |
A3 |
symptomlos |
> 3500 (Nephrotisches Syndrom) |
|
symptomatisch |
Quelle: In Anlehnung an: Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD Work Group (2024) KDIGO 2024 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney Int 105(4S): S117-S314. doi: 10.1016/j.kint.2023.10.018. |
Systematik der Nierenerkrankungsbilder
Die Einordnung der verschiedenen Nierenerkrankungen basiert darauf, in welchem Teil der Niere es zu pathologischen Veränderungen kommt.
Glomeruläre Erkrankungen
Bei einer primären Glomerulonephritis treten typische Veränderungen im Bereich des Glomerulus auf, deren Ursache unbekannt ist. Die morphologischen Veränderungen werden zur Namensgebung verwendet (mesangio-proliferativ, membranös). Die Therapierbarkeit und Prognose sind sehr unterschiedlich. Es gibt rapid progressive Verläufe, die unbehandelt innerhalb von Monaten zum Nierenversagen führen. Es gibt gutartige Verläufe, die über Jahrzehnte kaum progredient sind. Sekundäre Glomerulonephritiden treten in Begleitung anderer Erkrankungen und Infektionen auf. Hier ist die Sanierung der Infektion bzw. die Therapie der Grunderkrankung oberstes Ziel, um damit auch die Glomerulonephritis auszuheilen.
Vaskuläre Erkrankungen
Bei den vaskulären Erkrankungen wird in Makro- und Mikroangiopathien unterschieden. Bei den makroangiopathischen Erkrankungen handelt es sich meist um Sekundärveränderungen bei langjährig bestehender, nicht oder unzureichend behandelter arterieller Hypertonie und ausgeprägter Arteriosklerose. Diese Erkrankungen sind heutzutage gut behandelbar und haben hinsichtlich der Nierenfunktion eine gute Prognose. Cholesterolembolien (meist iatrogen nach Katheterintervention) können zu einer relevanten Niereninsuffizienz führen.
Die mikroangiopathischen Erkrankungen sind in aller Regel antikörpervermittelt. Die Therapierbarkeit und Prognose sind unterschiedlich, haben sich jedoch innerhalb der letzten Jahrzehnte deutlich verbessert.
Interstitielle Erkrankungen
Bei den interstitiellen Erkrankungen geht es in aller Regel darum, die auslösenden Noxen im weiteren Verlauf zu vermeiden. Durch Beendigung der Exposition mit schädlichen Substanzen kann der Krankheitsprozess meist zum Stillstand gebracht werden. Schwieriger zu therapieren mit nachfolgend ungewisser Prognose sind chronische Pyelonephritiden. Akute, infektbedingte, interstitielle Nephritiden (z. B. Hanta-Virus-Infektion) können zu einem akuten Nierenversagen führen. Es kommt meist zu einer Restitution nach mehreren Wochen, eine Niereninsuffizienz kann persistieren. Eine relevante Proteinurie tritt bei den interstitiellen Erkrankungen nur selten auf.
Tubuläre Erkrankungen
Tubuläre Schäden werden in aller Regel durch eine Obstruktion verursacht. Klassischerweise tritt die Schädigung bei einem postrenalen Nierenversagen auf. Harnleiter, Harnblase oder Harnröhre sind verlegt oder von außen komprimiert, so dass es zu einem Harnaufstau in das Nierenbecken und die Tubuli kommt. Eine andere Art der Obstruktion der Tubuli tritt bei der Cast-Nephropathie bei Plasmozytom und bei der Schädigung durch Röntgenkontrastmittel auf.
Malformationen und hereditäre Nierenerkrankungen
Genetisch bedingte Veränderungen der Nierenmorphologie und -physiologie führen im Laufe des Lebens zu einer chronischen Nierenerkrankung. Bei der autosomal dominant vererbten polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD, "autosomal dominant polycystic kidney disease") kommt es beispielsweise zu einer Malformation mit bis zu 100 Zysten pro Niere. Die Nieren wachsen verdrängend und können abdominelle Beschwerden verursachen. Die Erkrankung wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv wissenschaftlich bearbeitet. Es gibt eindeutige Prognosekriterien und erste therapeutische Ansätze, die das Zystenwachstum hemmen und den Nierenfunktionsverlust pro Jahr reduzieren.
Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege können im Verlauf der Schwangerschaft entstehen und zu einer relevanten Niereninsuffizienz führen. Häufig werden diese Fehlbildungen im ersten Lebensjahr operativ saniert, um eine weitere Schädigung der Nierenfunktion vermeiden zu können.
Nierenbeteiligung bei Allgemeinerkrankungen
Eine Nierenbeteiligung bei Allgemeinerkrankungen ist häufig (s. Tabelle). Am häufigsten wird die Niere durch einen nicht ausreichend behandelten Diabetes mellitus meist in Kombination mit einer arteriellen Hypertonie geschädigt. Auch eine unzureichend eingestellte arterielle Hypertonie allein schädigt die Nieren. Diese beiden Erkrankungen führen deutlich häufiger zu einer Dialysepflicht als eine originäre, primäre Nierenerkrankung.
Tabelle: Diagnoseverteilung bei terminaler Niereninsuffizienz (Prävalenz) im Jahr 2020 | |
Diabetes mellitus Typ I und II |
30-40 |
---|---|
Vaskuläre Nephropathie |
20 |
Glomerulonephritis |
15 |
Tubulointerstitielle Nephritis |
10 |
Zystennieren (ADPKD) |
5-7 |
Andere Ursachen |
10 |
QuelIe: QTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen): Nierenersatztherapie in Deutschland: Bericht über Dialysebehandlung inklusive Nierentransplantation in Deutschland. https://iqtig.org/qs-verfahren/qs-net, letzer Aufruf: 03.07.2025 |
Anamnese
Nierenerkrankungen verlaufen häufig über Jahre bis Jahrzehnte. Die Niereninsuffizienz ist dabei langsam zunehmend. Hinweise auf eine Berufskrankheit sind zu dokumentieren und dem Auftraggeber mitzuteilen. Hier ist auf die Exposition mit Blei, Chrom, Quecksilber, verschiedenen Lösungsmittel oder Kohlenwasserstoffen zu achten.
- Familiär bedingte Erkrankungen sind zu berücksichtigen. Bekannt in der Nephrologie sind autosomal dominant oder rezessiv vererbte polyzystische Nierenerkrankungen, das Alport-Syndrom, die Tuberöse Sklerose, das Fabry-Syndrom und viele weitere seltene Erkrankungen.
- Bei zunehmender Niereninsuffizienz sind Begleiterkrankungen wahrscheinlich; so die arterielle Hypertonie, die Arteriosklerose, die Hyperurikämie und die renalen Folgeerkrankungen mit Anämie, metabolischer Azidose und sekundärem Hyperparathyreoidismus.
- Auf Erkrankungen, die sekundär die Niere schädigen, ist zu achten; beispielsweise Vaskulitiden, Hepatitiden, HIV, Plasmozytom.
- Langjähriges Zigarettenrauchen mit Inhalation von Teerstoffen und Nikotin ist ein wesentlicher Risikofaktor für eine progrediente Niereninsuffizienz.
Nierenschäden durch Medikamente
Zahlreiche Medikamente können Nierenschäden hervorrufen, beispielsweise:
- nichtsteroidale Antiphlogistika,
- Goldverbindungen,
- D-Penicillamin,
- Antibiotika,
- bestimmte Chemotherapeutika und
- Immunsuppressiva.
Symptomatik
Die Symptome bei bestehender Nierenerkrankung sind sehr verschieden. Häufig verlaufen Nierenerkrankungen nahezu asymptomatisch. Die Diagnose einer Nierenerkrankung wird oft erst dann gestellt, wenn bereits eine relevante Niereninsuffizienz vorliegt (Niereninsuffizienzstadium 3b, 4 oder 5). Dann tritt eine Abnahme des Leistungsvermögens ein, es kommt zu einer Volumenüberladung, Gewichtszunahme und Atemnot bei geringer Belastung. In anderer Konstellation im (prä-)urämischen Stadium kann es zu Appetitlosigkeit, Erbrechen und eher zu Gewichtsverlust kommen, Kopfschmerzen und Pruritus können auftreten. Die zu Begutachtenden berichten von Muskelschwäche, Missempfindungen und Herzrhythmusstörungen. Akute und ausgeprägte Symptome im Sinne eines Notfalls liegen vor, wenn Nierensteine eine hoch schmerzhafte Kolik verursachen oder bei der Zystennierenerkrankung eine Nierenzyste platzt.
Diagnostische Maßnahmen
Klinischer Untersuchungsbefund
Es soll eine standardisierte körperliche Untersuchung stattfinden. Auffällig können folgende Befunde sein: erhöhte Blutdruckwerte, tastbare Nieren bei Zystennierenerkrankung, Schwerhörigkeit bei Alport-Syndrom, Blässe bei renal bedingter Anämie, Veränderungen des Körperskeletts bei Vitamin D resistenter Rachitis oder fortgeschrittener renaler Osteopathie, Veränderungen der Haut und der Gelenke bei Ablagerung von harnpflichtigen Substanzen, Kratzspuren bei Pruritus, pathologischer Pulsstatus bei akzelerierter Arteriosklerose, urämischer Foetor, reduziertes Vibrationsempfinden und pathologischer Reflexstatus bei autonomer Neuropathie. Auf andere pathologische Befunde bei gleichzeitig vorliegenden Begleit- oder Folgeerkrankungen ist zu achten.
Labordiagnostik
Die Laborbefunde im zeitlichen Verlauf sind zu beachten, da wie bereits beschrieben die Nierenerkrankungen über Jahre und Jahrzehnte ablaufen können. Folgende Laborparameter sollten standardisiert erhoben werden:
Im Blut und Blutserum Differential-Blutbild, Kreatinin, Harnstoff, Blutzucker, Kalium, Calcium, Phosphat, Harnsäure, Gesamteiweiß, Elektrophorese, eine Blutgasanalyse, Vitamin D, Parathormon. Bei bestimmten Fragestellungen erfolgt die Messung von Cystatin C, ANA, ANCA, anti-GBM.
Im Urin den Urin-Status, die Albumin-Kreatinin-Ratio, das Urinsediment sowie eine mikrobiologische Untersuchung, in seltenen Fällen bei einer signifikant hohen Proteinurie eine 24h-Urinsammlung mit Messung der Kreatinin-Clearance, der Proteinurie und der Urineiweißelektrophorese
- Kreatinin
Früher wurde das körperliche Leistungsvermögen abhängig vom S-Kreatinin angegeben. Dieses Vorgehen ist mittlerweile obsolet, da das S-Kreatinin von Person zu Person bei gleicher GFR sehr verschieden sein kann. Das Kreatinin ist abhängig von der Muskelmasse des Menschen und spiegelt nicht gut genug die Nierenfunktion wider. Bekannt ist der Ausdruck des "kreatininblinden Bereiches". Das S-Kreatinin befindet sich im Normbereich bei bereits bestehender Niereninsuffizienz; nachweisbar durch die Berechnung der geschätzten glomeruläre Filtrationsrate eGFR (estimated glomerular filtration) oder durch das S-Cystatin C.
- Cystatin C
Bei gering eingeschränkter Nierenfunktion ist die Bestimmung von Cystatin C im Serum sinnvoll. Dieses Protein wird in relativ konstanter Menge und unabhängig von Muskelmasse oder körperlicher Aktivität von kernhaltigen Körperzellen produziert, glomerulär filtriert und eliminiert. Das S-Cystatin C kann aufgrund der größeren diagnostischen Sensitivität gegenüber dem S-Kreatinin schon eine moderate Nierenfunktionseinschränkung im "kreatininblinden Bereich" nachweisen.
- Proteinurie
Eine Mikroalbuminurie ist definiert als Albuminausscheidung im Urin zwischen 30 und < 300 mg/24 h. Bei Diabetes mellitus ist dieser pathologische Befund ein frühes Zeichen für eine sich entwickelnde diabetische Nephropathie. Der Normbereich für die Gesamtproteinurie liegt bei < 150 mg/24h. Eine Gesamtproteinurie zwischen 150 mg und < 2000 mg/24h verläuft meist symptomlos und wird häufig bei Check-up Untersuchungen mittels U-Stix detektiert. Eine höhere Proteinurie macht in der Regel Symptome und mindert das körperliche Leistungsvermögen. Die Höhe der Proteinurie ist unabhängig vom Stadium der Niereninsuffizienz. Das Niereninsuffizienzstadium Grad 1 (G1 A3 nach KDIGO) bedeutet eine normale Nierenfunktion bei bestehender Nierenschädigung, die mit einer Proteinurie einhergeht. Klassischerweise beginnt eine akute Glomerulonephritis, z. B. bei membranöser Glomerulonephritis oder fokal segmentale Glomerulosklerose (FSGS), mit einer hohen Proteinurie bei noch erhaltener Nierenfunktion, also ohne jegliche Niereninsuffizienz (s. nachfolgende Tabelle).
Tabelle: Stadien der Proteinurie | |
Proteinurie in mg/24h, bzw. mg/g Kreatinin |
Klinik |
---|---|
< 150 (Physiologisch geringe Proteinurie) |
Symptomlos |
150 - < 3500 (Pathologisch erhöhte Proteinurie) |
Selten symptomatisch |
> 3500 (Nephrotisches Syndrom) |
Symptomatisch |
Quelle: Degenhardt S, Gerbig D, Hosp J, Köhler M (2024), Zusammenstellung für das Begutachtungsportal. |
- Albumin-Kreatinin-Quotient
Der Albumin-Kreatinin-Quotient ist eine alternative Ergebnisdarstellung der Messung von Albumin im Urin. Die Albuminkonzentration wird nicht auf das Urinvolumen sondern auf die Kreatininkonzentration im Urin bezogen. Die Einheit ist mg/g Kreatinin. Überschlägig kann der Betrag von mg/g Kreatinin auch als mg/24h angenommen werden, wenn man für Kreatinin 1 g/d einsetzt. Der große Vorteil für die tägliche Praxis ist die Ermittlung des Parameters aus dem Spontanurin. Es bedarf nicht der fehleranfälligen Sammlung des Urins über 24 Stunden.
- Hämoglobinwert
Bei zunehmender Niereninsuffizienz kommt es in der Regel zu einem Erythropoetin-Mangel und in dessen Folge zu einer normochromen, normozytären Anämie. Zusätzlich muss der Eisenstatus inklusive Messung der Transferrinsättigung überprüft werden. Diese Parameter sind bei der Begutachtung zu beachten.
- Säure Basen Haushalt
Mit zunehmender Niereninsuffizienz kommt es zu einer metabolischen Azidose, in manchen Fällen unter Diuretikatherapie auch zu einer metabolischen Alkalose. Diese Parameter sind bei der Begutachtung zu berücksichtigen.
- Mineralhaushalt
Bei zunehmender Niereninsuffizienz kann es zu einer relevanten Hyperkaliämie kommen. Meist ab einem Niereninsuffizienzstadium 4 ist eine diätetische Anpassung notwendig. Eine Hyperkaliämieneigung ist bei der Begutachtung immer zu kontrollieren, da es hier bei Diätfehlern zu lebensbedrohlichen Zuständen kommen kann. Bei zunehmender Niereninsuffizienz kommt es zu einer Dysbalance von S-Kalzium, S-Phosphat und Vitamin D. Diese Dysbalance kann schon in einem frühen Stadium der Niereninsuffizienz auftreten und muss medikamentös behandelt werden. Es entwickelt sich ein sekundärer Hyperparathyreoidismus, der unbehandelt oder fehlbehandelt zu einer relevanten renalen Osteopathie führt. Die Dysbalance von S-Kalzium und S-Phosphat führt zu einer akzelerierten Arteriosklerose mit den Folgekomplikationen einer symptomatischen koronaren Herzerkrankung, zerebraler Durchblutungsstörungen, Durchblutungsstörungen der Extremitäten und schmerzhaften Gelenkverkalkungen.
- Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
Die Messung der Glomerulären Filtrationsrate ist im Routinebetrieb und bei einer Begutachtung nicht möglich. Meist werden Rechenformeln angewandt, mit denen sich annäherungsweise die GFR bestimmen lässt, die sogenannte eGFR. Am weitesten verbreitet ist aktuell die CKD-EPI Formel zur Abschätzung der eGFR. Möglich ist die Bestimmung der Kreatinin-Clearance aus dem 24h-Sammelurin; die bestmögliche Annäherung an die GFR. Auf eine korrekte, komplette Urinsammlung über 24 Stunden ist zu achten. Es werden fünf Stadien der Niereninsuffizienz unterschieden (siehe Tabelle 2). Anhand des Niereninsuffizienzstadiums können Angaben über das körperliche Leistungsvermögen gemacht werden.
- Ernährung und Malnutrition
Mit zunehmender Niereninsuffizienz ist die Einhaltung verschiedener diätetischer Maßnahmen notwendig. Untersuchungen weisen darauf hin, dass es bei Einhaltung einer sogenannten Mittelmeerkost zu einer Prognoseverbesserung für Menschen mit einer chronischen Niereninsuffizienz kommt. Eine Reduktion des Fleischkonsums kann eine bestehende metabolische Azidose bessern und die Progredienz der Niereninsuffizienz verzögern. Es muss auf die Einnahme von Natrium, Kalium, Calcium, Phosphat und Vitamin D in der Nahrung geachtet werden. Je nach Niereninsuffizienzstadium gibt es Empfehlungen, wie viel Protein pro Tag zu sich genommen werden soll (s. angefügte Tabelle). Auch die Richtlinien für die Trinkmenge sind in den verschiedenen Stadien unterschiedlich und meist individuell auf den Patienten anzupassen. Wichtig ist eine geringe Zufuhr von Kochsalz in der Nahrung, um eine zusätzliche Volumenbelastung zu vermeiden. Bei zunehmender Niereninsuffizienz ab Stadium 4 wird diätetisch versucht, eine Malnutrition zu vermeiden. Einer drohenden Sarkopenie muss entgegengewirkt werden.
Tabelle: Empfehlung zum Proteingehalt in der Nahrung bei den verschiedenen Niereninsuffizienzstadien | ||
Stadium |
eGFR in ml/min |
Protein in g/kg Körpergewicht |
---|---|---|
1 und 2 |
> 60 |
1,0 |
3 |
31 – 60 |
0,8 |
4 und 5 ohne Dialyse |
< 30 |
0,6-1,0 |
5 mit Dialyse |
< 10 |
1,2 |
Quelle: Degenhardt S, Gerbig D, Hosp J, Köhler M (2024), Zusammenstellung für das Begutachtungsportal. |
- Bildgebende Verfahren
In erster Linie ist hier die (Doppler- und Farbduplex-) Sonographie zu nennen. Es wird die Nierengröße und die Parenchymbreite bestimmt sowie die Gefäße auf eine Nierenarterienstenose untersucht. Die Nierendurchblutung duplexsonographisch sowie mittels Resistive Index (RI)-Messung bestimmt. Der RI wird aus der maximalen systolischen Strömungsgeschwindigkeit und der enddiastolischen Strömungsgeschwindigkeit in den Aa. arcuatae an der corticomedullären Parenchymgrenze oder den Aa. interlobares in den Markpyramiden berechnet. Dabei können Nierensteine erkannt werden, das Nieren-parenchym, das Nierenbecken und der Ureterabgang können auf pathologische Befunde hin untersucht werden. Die Duplexsonographie kann jederzeit für kurzfristige Verlaufskontrollen genutzt werden. In der Nierenszintigraphie kann eine seitengetrennte Clearance gemessen werden. Für spezielle, zeitlich gebundene Fragestellungen sind auch Computertomographie und die Kernspintomographie hilfreich.
- Nierenbiopsie
Um bei einer Nierenerkrankung die Diagnose stellen zu können, ist oft eine nierenbioptische Klärung notwendig. Die Indikation zur Nierenbiopsie ist gegeben, wenn die Nierenfunktion normal oder nur gering eingeschränkt ist und gleichzeitig eine deutlich pathologische Proteinurie (> 500 mg/24h) und/oder ein nephritisches Urinsediment (Akanthozyten und/oder Erythrozytenzylinder) vorliegen. Bei schon fortgeschrittener Nierenfunktionseinschränkung gelingt die nierenbioptische Diagnosestellung nur noch selten, da das Nierengewebe meist fibrotisch verändert ist und viele Glomeruli schon verödet sind. Im Rahmen der sozialmedizinischen Begutachtung ist eine Nierenbiopsie in aller Regel nicht angezeigt.
Therapieoptionen
Nierenerkrankungen verlaufen in der Regel chronisch progredient. Therapieoptionen zielen zunächst darauf ab, die Nierenfunktion möglichst lange zu erhalten und auslösende bzw. Risikofaktoren bestmöglich zu therapieren. Bei terminaler Niereninsuffizienz stehen verschiedene Nierenersatzverfahren zur Verfügung.
Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung und einem (nahezu) kompletten Funktionsverlust der Nieren können durch Nierenersatzverfahren auf Dauer, über Jahre und Jahrzehnte, behandelt werden. Theoretisch sind drei verschiedene Verfahren möglich. Bei fehlenden Begleiterkrankungen, bei erhaltener körperlicher und psychischer Belastbarkeit bietet sich die allogene Organtransplantation an. Bei intaktem abdominellem Status, ohne signifikante abdominelle Voroperationen, kann eine Peritonealdialyse durchgeführt werden. Die Hämodialysetherapie kann unter nahezu allen Bedingungen eingeleitet werden.
- Transplantation
Die Nierentransplantation ist seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein etabliertes Verfahren. Die Anwärter auf eine Organspende befinden sich auf einer Warteliste, da der Bedarf an Organen viel höher ist als das Angebot. Die Wartezeit beträgt je nach Allokationsprogramm durchschnittlich mehr als fünf Jahre, teilweise über zehn Jahre. Aufgrund dieser Problematik besteht die Möglichkeit der Lebendnierenspende; dies jedoch nur bei Verwandtschaftsverhältnissen oder engen Freundschaftsbeziehungen zwischen Spender und Empfänger. Aktuelle Informationen und Statistiken zu den verschiedenen Organtransplantationen stellt die Deutsche Stiftung Organtransplantation bereit (https://www.dso.de).
- Peritonealdialyse
Die Bauchfelldialyse wurde weltweit erstmals in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in Würzburg durchgeführt. Das Verfahren kann heutzutage klassisch als Kontinuierliche Ambulante Peritonealdialyse (CAPD) mit drei bis fünf Beutelwechsel pro Tag oder als Automatisierte Peritonealdialyse (APD) über ein maschinengesteuertes Verfahren absolviert werden. Limitierender Faktor ist hierbei das Bauchfell, das als semipermeable Membran zur Entgiftung benutzt wird. Im Laufe von Jahren kann es zu einer Sklerosierung kommen, was allmählich zu einem Verlust der Dialyseeffektivität führt. Ein Wechsel des Verfahrens ist dann notwendig.
- Hämodialyse
Die Hämodialysetherapie wird seit den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts als Routineverfahren praktiziert. Das Therapieprinzip beruht auf einer semipermeablen synthetischen Membran, dem Dialysefilter. Auf der einen Seite der Membran fließt das mit harnpflichtigen Stoffen angereicherte Blut; auf der anderen Seite das Dialysat, eine physiologische Elektrolytlösung. Über die semipermeable Membran diffundieren die harnpflichtigen Stoffe ins Dialysat. Um eine ausreichend hohe Blutmenge in einer Behandlungssitzung filtern zu können, braucht man einen großlumigen, zentralvenösen Katheter. Für die dauerhafte, auf Jahre und Jahrzehnte angelegte Hämodialysetherapie wird eine chirurgisch angelegte arterio-venöse Fistel im Bereich des Armes benötigt (Nativgefäß oder Gefäßprothese). Alternativ kann ein Vorhofkatheter implantiert werden.
Krankheitsverlauf und Prognose
Neuromuskuläre Faktoren
Mit zunehmender Niereninsuffizienz treten in unterschiedlicher Häufigkeit autonome Neuropathien und Polyneuropathien auf. Sensorische Symptome mit Sensibilitätsstörungen und Parästhesien gehen den motorischen Symptomen voraus. Weiterhin kann es zum Resless-Legs-Syndrom kommen, zu unwillkürlichen Beinbewegungen und zu einem kaum zu unterdrückenden Bewegungsdrang der Beine.
Geistiges Leistungsvermögen und psychische Stabilität
Das geistige Leistungsvermögen, die Konzentrationsfähigkeit und die Aufmerksamkeitsspanne lassen mit Zunahme der Niereninsuffizienz nach. Die psychische Belastbarkeit und der psychische Zustand des Patienten müssen für eine eventuell zusätzlich notwendige neurologisch-psychiatrische Begutachtung evaluiert werden. Menschen mit einer chronischen, progredienten Nierenerkrankung sind damit konfrontiert, sich auf ein Nierenersatzverfahren vorbereiten zu müssen. Dies stellt für einen relevanten Anteil der Nierenkranken einen psychischen Stressor dar. Menschen mit einer genetisch bedingten Nierenerkrankung sind oft psychisch belastet, da es innerhalb der Familie bereits zu belastenden Krankheitsverläufen gekommen ist. Der Alltag mit einem Nierenersatzverfahren (Hämodialyse, Peritonealdialyse, Transplantation) kann die Betroffenen physisch und psychisch belasten und zeitlich limitieren.