Sozialmedizinische Beurteilung
Die sozialmedizinische Beurteilung erfolgt auf Grundlage der vorhandenen Befunde. Die Sachaufklärung dient entsprechend der ICF vornehmlich der Klärung der Funktionsstörungen und der damit verbundenen Störungen auf der Ebene der Aktivitäten sowie den daraus resultierenden Einschränkungen in Bezug auf die Teilhabe. Sie umfasst ebenso die Kontextfaktoren. Die Sachaufklärung soll so ausgerichtet sein, dass eine Aussage über das quantitative und qualitative Leistungsvermögen getroffen werden kann.
Grundlagen der sozialmedizinischen Beurteilung
Für die sozialmedizinische Beurteilung ist insbesondere bedeutsam, bei welchen Belastungen objektivierbare kardiopulmonale Funktionseinschränkungen auftreten und wie diese sich therapeutisch beeinflussen lassen. Die Messwerte aus Spirometrie und / oder Ganzkörperplethysmografie ermöglichen eine Einteilung des Schweregrades. Für eine vollumfängliche Leistungsbeurteilung sind die spirometrischen Messwerte auf Plausibilität und Reproduzierbarkeit zu prüfen. Dabei ist die Interpretation der in der Spirometrie und in der Ganzkörperplethysmografie ermittelten Werte immer im Kontext mit der Symptomschwere und der Exazerbationshäufigkeit zu sehen. Wichtig ist außerdem die Berücksichtigung der Kompensationsmöglichkeiten durch Ausschöpfung der therapeutischen Möglichkeiten und vor allem durch das selbstbestimmte krankheitsadäquate Verhalten. Daraus resultierend ergeben sich Störungen auf Ebene der Aktivität und gegebenenfalls Einschränkung in Bezug auf die Teilhabe, welche im Fokus der Beurteilung liegen.
Für die sozialmedizinische Begutachtung ist es wesentlich, welche Beschwerden bei welcher Belastungsintensität auftreten. In diesem Zusammenhang erlauben Belastungsuntersuchungen Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit.
Beschreibung der Funktionsstörungen und daraus resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten
Eine alleinige biomedizinische Betrachtung einer Erkrankung der Lunge und des daraus resultierenden Befundes ist für die Begutachtung von Versicherten nicht ausreichend. Das demographische Altersspektrum der Menschen hat erheblich zugenommen und damit auch die Chronifizierungstendenz vieler Erkrankungen. Davon sind auch die Erwerbstätigkeit (z. B.: Flexirente), die Selbstversorgung und sämtliche andere Lebensbereiche betroffen. Somit gewinnt der biopsychosoziale Aspekt bei der medizinischen Begutachtung von Erkrankungen der Lunge zunehmend an Bedeutung. Um die Versicherten vollumfänglich zu begutachten, spielt die Kenntnis des gesamten Lebenshintergrundes, vor allem mit Blick auf das berufliche Spektrum, innerhalb der persönlichen Alltagsbedingungen eine wichtige Rolle.
Die Nutzung der ICF bietet eine ergebnisorientierte Möglichkeit, die Auswirkungen einer Lungenerkrankung auf verschiedenen Ebenen zu beschreiben. Der Ausgangspunkt bleibt eine Störung von Struktur und / oder Funktion der Lunge. Dieses Gesundheitsproblem, welches mittels ICD-10 bei jedem Menschen gleich kodiert wird, kann in verschiedenen Stadien bei unterschiedlichen Menschen stark variierende Auswirkungen haben. Deswegen inkludiert die ICF zu den Störungen von Struktur und Funktion auch die dazugehörige Störung von Aktivität und Teilhabe. Die Teilhabe beschreibt dabei das Einbezogensein in verschiedenen Situationen wie Freizeit-, Familien- und Arbeitsleben. Da für alle Bereiche die aktive Nutzung der Lunge essenziell ist, ist hier eine genaue und differenzierte Betrachtung notwendig. Gerade die Nutzung nicht-medikamentöser Therapieoptionen und die Unterstützung zum Nicht-Rauchen nehmen bei der COPD-Behandlung eine Schlüsselrolle ein, um weiter an einem selbstbestimmten Leben teilhaben zu können.
Bei der Betrachtung der Teilhabe müssen die positiven und negativen Aspekte differenziert werden. Positiv wäre beispielsweise, dass trotz einer eingeschränkten Lungenfunktion die Teilhabe an einer Sportgruppe unterstütz wird, um eine vergleichbar normale Kondition zu behalten und damit an anderen sportlichen Aktivitäten mit Freunden weiter teilnehmen zu können. Negativ wäre eine fortschreitend eingeschränkte Lungenfunktion, beispielsweise aufgrund einer ungenügenden Aufklärung und Unterstützung hinsichtlich des Erreichens einer Tabakabstinenz.
In Zusammenhang mit einer COPD ergeben sich deutliche Einschränkungen der körperlichen Funktionen:
- Atmungsfunktionen
- Funktionen der Atemmuskulatur
- Funktionen der kardiorespiratorischen Belastbarkeit
- mit dem kardiovaskulären und Atmungssystem verbundene Empfindungen
- Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs
Auch die Körperstrukturen können von allgemeinen Normen abweichen
- Struktur des Atmungssystems
- Bronchialbaum
- Struktur der Lungen
- Atemmuskulatur
- Skelettsystem
- Muskelsystem
Daraus bedingte individuelle Beeinträchtigung der Teilhabe und Aktivität
- mit Stress und anderen psychischen Anforderungen umgehen
- Gegenstände anheben und Tragen
- sich in verschiedenen Umgebungen fortbewegen
- Hausarbeit erledigen
- Transportmittel benutzen
- Gemeinschaftsleben
- Erholung und Freizeit
Im nächsten Schritt stehen die Kontextfaktoren. Diese können ebenfalls positive als auch negative Auswirkungen auf die Situation haben. Positiv wäre ein engagiertes Nutzen nicht-medikamentöser Therapiemethoden und eine Unterstützung dieser durch den Arbeitgeber. Negativ wären eine fehlende Einsicht und Motivation, das Rauchen aufzugeben oder das unzureichende Ausschalten von Noxen am Arbeitsplatz.
Zu den Kontextfaktoren zählen.
- Verfügbarkeit von Hilfsmitteln (Inhalatoren, tragbarer Sauerstoff, intermittierende nächtliche Beatmung)
- Möglichkeiten, Hilfsmittel am Arbeitsplatz zu integrieren (z. B. tragbare Sauerstoffeinheit)
- Beschaffenheit des Arbeitsplatzes (Ausschaltung von Noxen, Frischluft zugänglich)
- Unterstützung durch Hilfspersonen (Begleitpersonen)
- Zugang zu Dienstleistungen von Verbänden und Vereinen
- Einfügen in die individuellen und gesellschaftlichen Wertevorstellungen zu Gesundheit und Krankheit und damit einhergehend die Leistungsfähigkeit (Ist die Einschränkung sichtbar? Wenn ja, führt dies eher zu Unterstützung oder Stigmatisierung?)
Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kontextfaktoren sowohl Umweltfaktoren als auch Personbezogene Faktoren sind. Hierbei sind Umweltfaktoren wie materielle Möglichkeiten, Sozialstatus oder die Einstellung der direkten Umwelt zu der Erkrankung zu beachten und zu erfragen. Des Weiteren sind die Personbezogenen Faktoren anamnestisch zu eruieren. Dies inkludiert allgemeine und physische Merkmale wie z. B. Alter, Geschlecht oder Gewicht. Diese Faktoren spielen sowohl für die Atemmuskelkraft als auch für die kompensatorischen Möglichkeiten eine wichtige Rolle. Mentale Faktoren wie Persönlichkeit und kognitive Leistung beeinflussen stark den Willen, trotz einer körperlichen Beeinträchtigung eine adäquate Teilhabe zu erleben. In diesem Zusammenhang ist auch die Einstellung von Gesundheit und Krankheit wichtig, da es gerade optimistischen und extrovertierten Menschen leichter fällt, sich an neue Situationen zu gewöhnen und trotz körperlicher Einschränkungen ihr Leben vollumfänglich anzupassen.
Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die Schädigung der Körperfunktionen und die Schädigung der Körperstruktur in Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Aktivität zu bringen. Damit ist gemeint, inwieweit die Versicherten bei der Durchführung ihrer berufsbezogenen Aktivitäten und Freizeitaktivitäten eingeschränkt sind oder in gewissen Lebenssituationen oder Lebensbereichen nicht mehr teilhaben können. Zu berücksichtigen ist dabei das Erleben des Versicherten im Alltag, welches keine Korrelation mit dem funktionsdiagnostischen Werten haben muss. Hier ist darauf zu achten, dass die objektivierbaren Untersuchungsbefunde und die Funktionsdiagnostik keinen absolut stringenten Hinweis auf die Beeinträchtigung der Teilhabe und Aktivität bieten müssen. Es geht vielmehr darum, möglichst objektiv aus der Zusammenschau aller beschriebenen und beobachteten Tatsachen, eine realistische individuelle Einschätzung bezüglich der erlebten Beeinträchtigung der Teilhabe zu treffen.
Die Schädigung oder Beeinträchtigung der Atmung ist keine statische Diagnose, sondern ein dynamischer Prozess, der durch die fördernde Ausweitung positiver Kontextfaktoren beeinflusst werden kann. Ziel sollte dabei sein, outcome-orientiert die Funktionsfähigkeit einer Person mit einer Einschränkung der Lunge durch Nutzung aller therapeutischen Optionen weitgehend so wieder herzustellen und zu entfalten, wie es von gesunden Menschen erwartet wird.
Der Einsatz der problemlosen Atmung wird von den Menschen als eine solche bedingungslose Selbstverständlichkeit wahrgenommen, dass Einschränkungen auf diesem Gebiet das Gefühl von Hilflosigkeit auslösen können. Alltägliche Gänge und Erledigungen werden gegebenenfalls nur noch mit Schwierigkeiten verrichtet, Rückzugstendenz können daraus resultieren.
Verbindung von Querschnitts- und Längsschnittverlauf
Bei der COPD ist besonders der Längsschnittverlauf von Interesse. Es gilt, zu beurteilen wie sich die spirometrisch erhobenen Werte über die Monate bzw. Jahre entwickelt haben (Jahreszeiten-Abhängigkeiten, Allergieexposition, aktuelle körperliche Belastung).
Jede Momentaufnahme sollte sich nur in den temporären Kontext einfügen und die Einzelbetrachtung sollte keiner Überbewertung unterliegen (saisonale Verschlechterung, beginnender Infekt etc.). Bei einer deutlichen Diskrepanz zwischen der Einschränkung der Lungenfunktion in den aktuellen Werten in Bezug auf frühere Messungen sollte ebenfalls andere Möglichkeiten differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Da die Luftnot als Leitsymptom der COPD ein objektiv lebensbedrohliches Symptom darstellt, welches zu Ängsten, Depressionen und sozialem Rückzug führen kann, ist die psychosomatische Komponente immer zu betrachten und anzusprechen.
Ausschöpfung therapeutischer Optionen
Da die COPD eine chronische und fortschreitende Erkrankung ist, sollten zunächst alle Therapieoptionen ausgeschöpft und an den individuellen Bedarf angepasst werden.
In der Vergangenheit sollten verschiedene therapeutische Optionen fachärztlich begleitet durchgeführt worden sein. Dies beinhaltet sowohl eine medikamentöse Ausschöpfung der Möglichkeiten als auch eine Vielzahl nicht-medikamentöser Therapieoptionen, welche auf ambulanter Ebene in den Alltag integriert sein sollten. Darüber hinaus spielen auch die persönliche Lebensweise und die damit selbst zu beeinflussenden Kontextfaktoren eine entscheidende Rolle (Bewegung, Verzicht auf Tabak, Ernährung). Bei der COPD ist die Rehabilitation eine optimale Möglichkeit zur deutlichen klinischen Verbesserung. Hier sollte auf einen Übertrag der erlernten und genutzten Strategien in den Alltag geachtet werden.
Medizinischer Rehabilitation
Die Leistungsfähigkeit der Lunge kann sich im Lauf eines Lebens durch Unfall- oder Erkrankungsfolgen, aber auch durch den normalen Alterungsprozess sowie durch Inhalation diverser Noxen verändern. Die Folgen können sich in einer Einschränkung der Atemfunktion und / oder des Gasaustausches zeigen. Es kann dadurch zu einer schnelleren körperlichen Ermüdung kommen. Werden diese Einschränkungen ignoriert oder allein durch eine Medikamenteneinnahme kompensiert, kann dies unter Umständen zu einer Symptomverschlechterung führen. Die pulmologische Rehabilitation ist eine multimodale Intervention durch ein interdisziplinäres Team auf verschiedenen Ebenen: somatisch, psychologisch, edukativ und sozial. Neben den sekundärpräventiven Aspekten zur Reduktion von Morbidität und Mortalität zielt sie auf eine verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit sowie die Wiedereingliederung in das Alltags- und Erwerbsleben ab. Eine am dauerhaften Therapieerfolg ausgerichtete Versorgung der Patienten muss daher stets die pulmologische Rehabilitation als wichtigen Teilaspekt miteinbeziehen. Bei der Indikationsstellung zur Durchführung einer pulmologischen Rehabilitation spielt die COPD gemäß ihrer Prävalenz mit Abstand die größte Rolle.
Der Rehabilitationsbedarf im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist gegeben, wenn die Folgen einer Erkrankung der Lunge zu Funktionsstörungen mit einer erheblichen Gefährdung oder bereits einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Teilhabe am Erwerbsleben geführt haben. Für die Beurteilung des Rehabilitationsbedarfs, ebenso wie für die Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit und -prognose sind objektivierbare (z. B. Röntgenbilder, CT-Bilder, Sonographie, Funktionsdiagnostik) und subjektive (Luftnot, Husten, Angst) Parameter zu berücksichtigen. Dabei sind die Funktionseinschränkungen die ausschlaggebenden Grundlagen. Versicherten mit COPD soll eine pneumologische Rehabilitation angeboten werden, wenn trotz adäquater ambulanter fachärztlicher Betreuung beeinträchtigende körperliche, soziale oder psychische Krankheitsfolgen bestehen, die die Möglichkeit von normalen Aktivitäten bzw. der Teilhabe am beruflichen und privaten Leben behindern. Dies gilt insbesondere für unten aufgeführte Punkte. Da es sich bei der COPD definitionsgemäß um eine chronische Erkrankung mit unterschiedlichen Verlaufsmöglichkeiten handelt, kann die Indikation zu einer Rehabilitation bei demselben Patienten wiederholt bestehen. Bei anhaltendem Vorliegen beeinflussbarer Risikofaktoren und nach längerem zeitlichem Abstand zu einer vorangegangenen Rehabilitation kann eine erneute Durchführung indiziert sein.
Bei einer COPD besteht Rehabilitationsbedarf und sollte auch eine pneumologische Rehabilitation durchgeführt werden, sofern eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- mittel-bis schwergradige Intensität der COPD-Hauptsymptome (siehe Tabelle: Schweregradeinteilung COPD)
- Exazerbation, die in den letzten 12 Monaten mindestens einmal stationär oder mindestens zweimal ambulant behandelt wurde.
- Gefährdung der Erwerbsfähigkeit
- drohende Pflegebedürftigkeit (hier ist jedoch in der Regel nicht die DRV der zuständige Kostenträger)
- alltagsrelevante psychosoziale Krankheitsfolgen (Depression, Ängste, Rückzugstendenzen)
- Notwendigkeit von rehabilitationsspezifischen nicht-medikamentösen Therapieverfahren, wenn diese ambulant nicht im erforderlichen Ausmaß erfolgen können (Trainingstherapie, Physiotherapie, Schulung, Tabakentwöhnung oder psychosoziale Hilfen)
Tabelle: Schweregradeinteilung der COPD | ||
Stufe |
Schweregrad |
FEV1 |
---|---|---|
I |
leicht |
> 60 % v. Soll |
II |
mittelschwer |
40-60 % v. Soll |
III |
schwer |
< 40 % v. Soll |
Quelle: Leitlinie zur Spirometrie 2015, Deutsche Atemwegsliga |
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stellen den Bereich der Leistungen zur Teilhabe dar, der die Leistungen zur Erhaltung oder zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, zur beruflichen Anpassung, Berufsvorbereitung, Fort- und Weiterbildung, Ausbildung und Qualifizierung sowie finanziellen Hilfen umfasst. Auch nach einer medizinischen Rehabilitation kann zur beruflichen Wiedereingliederungsleistung eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sein. Die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe kann in Betracht kommen, sofern die Fahreignung nicht grundsätzlich beeinträchtigt ist und der Versicherte auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er nicht in der Lage ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder die erforderlichen Fußwege zurückzulegen.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können auch indiziert sein, wenn bestimmte Einflüsse am Arbeitsplatz vorliegen, die nicht vermieden werden können. Hierunter fällt beispielsweise die irritative Reizung der Bronchialschleimhaut durch Dämpfe, Gase, Stäube und nicht vermeidbares Passivrauchen. Ebenso kann dies bei klimatischen Einflüssen wie Kälte, Wärme, Temperaturschwankungen, Zugluft und hoher oder niedriger Luftfeuchtigkeit der Fall sein. Ebenso können bei Infektgefährdung, wie z.B. erhöhtes Infektrisiko bei Tätigkeiten im medizinischen Bereich, in Kindergärten, in der Schule oder beim Publikumsverkehr, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich werden.
Die Schwere der körperlichen Arbeit kann eine Arbeitsplatzumsetzung erforderlich machen. Arbeit unter einer Atemschutzmaske bedeutet eine erhöhte Last für die Ventilation, sodass auch hier Arbeitsplatzveränderungen erforderlich sein können. Ebenso können Berufe mit der Unvermeidbarkeit von Wechselschichten oder Bereitschaftsdiensten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfordern. Insgesamt sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben besonders dann indiziert, wenn Symptome der COPD in Korrelation mit der Tätigkeit oder den Arbeitsbedingungen auftreten.
Leistungsvermögen
- Schweregradeinteilung der COPD
- Besteht bereits ein Lungenemphysem?
- Gasaustausch
- Symptomschwere und Häufigkeit
- Exacerbation
- Beeinflussbarkeit durch Medikamente
- Psychische Begleiterkrankungen
1. Schweregradeinteilung der COPD
- Die Einteilung des Schweregrades einer COPD für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ist anhand der vorliegenden Befunde (Spirometrie, Bodyplethysmographie) inklusive der Belastungsuntersuchungen (Spiroergometrie) zu prüfen.
Tabelle: Schweregradeinteilung der COPD | ||
Stufe |
Schweregrad |
FEV1 |
---|---|---|
I |
leicht |
> 60 % v. Soll |
II |
mittelschwer |
40-60 % v. Soll |
III |
schwer |
< 40 % v. Soll |
Quelle: Leitlinie zur Spirometrie 2015, Deutsche Atemwegsliga |
2. Besteht bereits ein Lungenemphysem?
- Das Lungenemphysem ist gekennzeichnet durch eine irreversible Erweiterung der Lufträume distal der terminalen Bronchioli mit Destruktion der Alveolarsepten und folgender Zerstörung von Lungenparenchym. Die Folge ist unter anderem der Verlust von am Gasaustausch beteiligter Oberfläche.
3. Gasaustausch
- Ist der Gasaustausch bereits beeinflusst? Liegt eine Insuffizienz vor?
Tabelle: Gasaustausch | ||
Atemfunktion |
p02 |
pC02 |
---|---|---|
Partial-Insuffizienz |
erniedrigt |
Normal |
Global-Insuffizienz |
erniedrigt |
Erhöht |
Quelle: Leitlinie COPD 2018 |
4. Symptomschwere und Häufigkeit
- Wie stark sind Quantität und Qualität von Husten, Auswurf und Luftnot?
- Die Einordnung erfolgt immer anhand des schwersten Symptoms, auch wenn andere Hauptsymptome schwächer ausgeprägt sind.
Tabelle: Symptoomeschwere und Häufigkeit | |||
Schwere der Symptome |
leicht |
Mittel |
schwer |
---|---|---|---|
Atemnot |
geringgradig unter Belastung; Keine Pause nach 1-3 > Stockwerten |
unter Belastung Pause nach 1-3 Stockwerken |
in Ruhe bei geringster Belastung, Pause < 1 Stockwerk |
Husten |
überwiegend nur morgens |
mehrfach täglich |
ständig am Tag und in der Nacht |
Auswurf |
nur morgens; keine Beschwerden am Tag oder in der Nacht |
mehrfach täglich |
ständig verschleimt; Abhusten stark erschwert |
Quelle: Leitlinie COPD 2018, Thieme |
5. Exacerbation
- In welchen Abständen und welcher Intensität kommt es zu Exacerbationen? Wie oft kommt es zu Krankenhausaufenthalten?
6. Beeinflussbarkeit durch Medikamente
- Wie verbessern sich die Symptome unter regelmäßiger Medikamenteneinnahme?
7. Psychische Begleiterkrankungen
- Welche Rolle spielen diese in Zusammenhang mit der Lungenerkrankung?
Exkurs: Die Begutachtung der Berufskrankheiten der DGUV
Die Begutachtung von pneumologischen Berufskrankheiten soll laut der Leitlinie 2015 der Atemwegsliga bereits anhand einer neuen Graduierung erfolgen. In der Begutachtung von pneumologischen Berufskrankheiten soll eine neue Graduierung der spirometrischen Funktionseinschränkung für die MdE-Tabellen (MdE=Minderung der Erwerbsfähigkeit) in den Reichenhaller, Falkensteiner und Bochumer Begutachtungsempfehlungen verwendet werden. Diese neue Graduierung definiert Prozentwerte des Lower Limit of Normal (LLN). Damit unterscheidet sie sich von der Berechnung der Schweregradeinteilung entsprechend der Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga, die anhand mittlerer Sollwerte der GLI-Werte erfolgt. Beide Rechnungen beziehen sich auf die neuen GLI-Werte, jedoch nutzt die Schweregradeinteilung einen prozentualen Soll-Bezug auf die GLI-Werte und die Einteilung zur Minderung der Erwerbsfähigkeit einen prozentualen Bezug auf das Lower Limit of Normal (5. Perzentile). Nach derzeitigen Erkenntnissen sind jedoch bezüglich der Ergebnisse kaum Unterschiede zu erwarten. Ein Abgleich beider Rechenmethoden an prospektiven Daten ist aktuell in Arbeit.
Qualitatives Leistungsvermögen
Liegt eine COPD vor (FEV1/FVC < LLN), sind schwere oder mittelschwere körperliche Arbeiten nicht mehr uneingeschränkt möglich. Eine hochgradige Einschränkung der pulmonalen Belastbarkeit nach Ausschöpfung aller Therapieoptionen im Sinne einer beginnenden respiratorischen Insuffizienz lässt auch leichte körperliche Arbeit nicht mehr zu. Das Leistungsvermögen ist damit aufgehoben.
Zur groben Übersicht der Einteilung des qualitativen Leistungsvermögens ist auf die untenstehende Abbildung verwiesen.
Abbildung: Qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens bei COPD, abhängig vom Schweregrad der COPD und der Symptomatik sowie der Exazerbationshäufigkeit ist noch leichte, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeit möglich
Quelle: Eigene Darstellung, Deutsche Rentenversicherung Bund
Beurteilung tätigkeitsbezogener Belastungsfaktoren
Die Auswirkungen der COPD auf die Belastbarkeit im beruflichen und sozialen Bereich müssen aus den medizinischen Unterlagen klar hervorgehen. Die tätigkeitsbezogenen Probleme liegen immer in einer Diskrepanz zwischen dem individuellen Leistungsbild und den Anforderungen am Arbeitsplatz. Sie können sich sowohl auf der somatischen als auch auf der psychischen oder sozialen Ebene manifestieren.
Bezogen auf die COPD sind folgende Kriterien in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung und gegebenenfalls vorliegenden Folgeleiden zu prüfen:
- körperliche Belastbarkeit (Ausdauer)
- Arbeitsschwere (Heben, Tragen, Bewegen von Lasten)
- geistige und psychische Belastbarkeit
- Anpassungsfähigkeit und Flexibilität
- besondere Belastungs- oder Gefährdungsfaktoren (Arbeit mit Maske, Arbeit unter vermindertem Sauerstoffpartialdruck)
- Publikumsverkehr (Infektgefährdung, Stigmatisierung durch Husten und Auswurf)
- besondere Verantwortung für Personen und / oder Maschinen
- Akkordarbeit, Zeitdruck, Überstunden, Schichtdienst, Nachtarbeit,
- Reisefähigkeit / Fahrtauglichkeit
- erhöhte Unfall- oder Verletzungsgefahr
- Kälte, Hitze, starke Temperaturschwankungen, Nässe
- Lärm, Vibrationen
- spezifisch gefährdende Stoffe (Dämpfe, Gase, Stäube, unvermeidbares Passivrauchen)
Im Zusammenhang mit arbeitsbezogenen Beschwerden ist auch an das Vorliegen einer Berufskrankheit zu denken (Berufskrankheiten 4301 und 4302). Möglicherweise liegt hier die Zuständigkeit bei der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Quantitatives Leistungsvermögen
Für die sozialmedizinische Beurteilung ist insbesondere bedeutsam, bei welchen Belastungen Lungenfunktionseinschränkungen auftreten. Eine deutliche Einschränkung der mittels Spirometrie oder Ganzkörperplethysmografie ermittelten Werte kann ein Indikator für eine schlechte Prognose der pulmologischen Erkrankung sein. Sie darf aber nicht mit Einschränkungen im Berufsleben gleichgesetzt werden, wenn die konkrete berufliche Tätigkeit keinen körperlichen Einsatz erfordert. Es ist erforderlich, die diagnostischen Befunde immer mit dem beruflichen Anforderungsprofil abzugleichen. Auch auslösende Mechanismen der Beschwerden, speziell am Arbeitsplatz, müssen beachtet werden, um zu einer Beurteilung der Gesamtleistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu kommen.
Die Feststellung einer sozialmedizinisch relevanten Minderung des Leistungsvermögens setzt voraus, dass die zumutbaren therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Die Möglichkeit einer Verbesserung durch Therapieoptimierung - insbesondere durch Nikotinkarenz - ist einzubeziehen. Kann eine Besserung unter optimierter Therapie in absehbarer Zeit (Zeitraum von 6 Monaten) erwartet werden, ist von einer Arbeitsunfähigkeit, nicht aber einer überdauernden relevanten Minderung des Leistungsvermögens auszugehen.
Die FEV1 ist der bedeutsamste objektivierbare Parameter (obwohl nie zu vernachlässigen ist, dass auch diese Untersuchung eine Mitarbeit des Patienten erfordert und deutlichen Tages-Schwankungen unterliegen kann) für die Beurteilung des Leistungsvermögens von Menschen mit COPD. Dieser Parameter korreliert nicht zwingend mit körperlicher Belastbarkeit und Symptomatik, hier kann z.B. eine Spiroergometrie weiterführende Informationen zur Leistungsfähigkeit liefern. Der intraindividuelle Verlauf der Spirometrie- Ergebnisse ist häufig aussagekräftiger als der alleinige Bezug auf statistische Sollwerte, vor allem wenn sich die Messwerte im unteren Sollbereich befinden. Hierfür werden primär die absoluten Messwerte verglichen, sodass eine Sollwertänderung keinen Einfluss hat.
Abbildung: Quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens bei COPD, abhängig vom Schweregrad der COPD und der Symptomatik sowie der Exazerbationshäufigkeit ist das Leistungsvermögen auf 3-6h oder unter 3h eingeschränkt
Quelle: Eigene Darstellung, Deutsche Rentenversicherung Bund
Ein aufgehobenes Leistungsvermögen auch für leichte körperliche Tätigkeit besteht in der Regel unter folgenden Umständen:
- FEV1 < 55 % LLN oder
- < 40 % GLI + E der Symptomintensität und Exazerbationshäufigkeit
- Resistenz (Raw) >1 kPa/s
- ergometrische Belastbarkeit < 50 Watt
- arterieller Sauerstoffpartialdruck < 8 kPa (60 mmHg) in Ruhe mit weiterem Abfall unter Belastung
- Erhöhung des pulmonalarteriellen Drucks (Rechtsherzkatheter) auf über 5,3 kPa (40 mmHg) im Sinne eines Cor pulmonale