Deutsche Rentenversicherung

Spezifische Phobie

Krankheitsbild, Anamnese, Diagnostik, Therapie, Krankheitsverlauf und Prognose
Stand: 12.07.2024

Störungsspezifische Beschreibung

Generelle Aussagen über alle Angststörungen

  • Bei Angststörung kommt es zu übertriebenen, unrealistischen oder auch grundlosen Reaktionen
  • Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen
  • Lebenszeitprävalenz: zwischen 14-29 %
  • Sie haben häufig eine hohe Komorbiditätsrate
  • Oftmals zeigt sich ein chronischer Verlauf
  • Die Spontanremissionsrate ist niedrig
  • Sie schränken die Lebensqualität erheblich ein sowohl in sozialer, beruflicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht
  • In vielen Fällen sind Angststörungen effektiv behandelbar
  • Die Rezidivneigung trotz entsprechend durchgeführter Pharmakotherapie oder psychotherapeutischer Behandlung ist nicht unerheblich
  • Frauen erkranken deutlich häufiger als Männer; dies ist kulturübergreifend ausgeprägt
  • Die höchste 12-Monats Prävalenz liegt in der Altersgruppe von 18-34 Jahren. Die zweithöchste in der Altersgruppe von 35-49 Jahren

Krankheitsbeschreibung: Spezifische Phobie

  • Die Phobie beschränkt sich auf einzelne, umschriebene Situationen
  • Häufig bezieht sich die Phobie auf Aspekte in der Natur
  • Tierphobien, Höhenangst, Angst vor geschlossenen Räumen stehen im Vordergrund
  • Die auslösende Situation kann zu Panikattacken führen

Diagnostische Kriterien ICD-10

  • Deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation, außer Agoraphobie/sozialer Phobie
  • Deutliche Vermeidung solcher Objekte und Situationen
  • Häufige phobische Objekte und Situationen:
    • Tiere
    • Vögel
    • Insekten
    • Höhen
    • Donner
    • Flugreisen
    • kleine geschlossene Räume
    • Anblick von Blut/Verletzungen
    • Injektionen
    • Zahnarzt- und Krankenhausbesuche

 

Quelle: ICD-10 Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Hrsg.: Dilling & Freyberger, 8. überarbeitete Auflage, 2016
Tabelle: Angstsymptome bei einer spezfischen Phobie

Vegetative Symptome

Symptome, die Thorax/ Abdomen betreffen

Psychische Symptome

Allgemeine Symptome

  • Palpitationen,
    Herzklopfen,
    erhöhte Herzfrequenz
  • Atembeschwerden
  • Gefühl von Schwindel,
    Unsicherheit, Schwäche, Benommenheit
  • Hitzewallungen
  • Schweißausbrüche
  • Beklemmungsgefühle
  • Derealisationserleben
  • Kälteschauer
  • Fein- oder
    grobschlägiger Tremor
  • Thoraxschmerzen und
    -missempfindungen
  • Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden
  • Gefühllosigkeit

  • Mundtrockenheit
  • Nausea oder abdominelle Missempfindungen
  • Angst zu sterben
  • Kribbelgefühle
  • Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Symptomatik oder das Vermeidungsverhalten
  • Es besteht Einsicht, dass die emotionale Belastung / das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig ist
  • Die Symptome sind auf die gefürchteten Situationen oder auf die Gedanken darüber beschränkt


 

Anamnese

Tabelle: Auflistung der störungsspezifischen Anamnese und Therapieoptionen

Störungsspezifische Anamnese

Nutzung und Ansprechen von Therapieoptionen

  • Zeitlicher Beginn der spezifschen Phobie
  • Nutzung und Ansprechen von Therapieoptionen
    • Medikamentöse Behandlungen
    • Psychotherapeutische Behandlungen
    • Andere therapeutische Behandlungsoptionen
  • Häufigkeit des Auftretens
    • Episodenartig, anfallsartig, chronisch

  • Symptomfreie Intervalle / Chronifizierung

  • Auslöser / auslösende Situationen

  • Symptomatik in den jeweiligen Episoden
    (Symptomveränderung, Symptomzunahme)

 

  • Einschränkungen der Aktivitäten im Alltag (privat - Erwerbstätigkeit)

  • Suizidalität

 

  • Psychische Komorbidität

 

  • Somatische Komorbidität

 

  • Substanzmittelmissbrauch

 

  • Ambulante und / oder stationäre Behandlungen

 

Quelle: Eigene Darstellung, Deutsche Rentenversicherung Bund

Anbei finden Sie einen Link zu einem Muster für die Anamneseerhebung. Die dort gelisteten Punkte geben Hinweise auf eine vollständige Anamnese, müssen aber nicht bei jedem Krankheitsbild einzeln aufgeführt werden.


 

Diagnostische Maßnahmen

Die körperliche Untersuchung ist auch bei psychosomatischen / psychiatrischen Erkrankungen ein wichtiger Bestandteil im Begutachtungsprozess. 

Weitere Informationen: Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV-Schrift 21, S.55

Psychischer Befund

  • Ausführliche Beschreibung der individuellen Ausprägung der verschiedenen psychischen Qualitäten nach ärztlicher / psychologischer Einschätzung
  • Verwendung der Terminologie aus:
    • AMDP-System
    • ICF
    • ICD-10 (ICD -11)
  • Subjektives Krankheitserleben
  • Beschreibung der Persönlichkeitseigenschaften (Vulnerabilitätsfaktoren)

Apparative Diagnostik

Quelle: S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, AWMF Version 2.0, Stand 2021, Registriernummer 051-028
Tabelle: Apparative Diagnostik

Laborparameter

Weitere apparative Diagnostik

  • Blutbild
  • Ggf. EEG
  • Blutzucker
  • Ggf. EKG: Rhythmusstreifen
  • Elektrolyte
  • Ggf. Lungenfunktion
  • Schilddrüsenstatus
  • Ggf. CCT, MRT

Testpsychologische Diagnostik

"Case-finding" Fragebögen (Screening-Verfahren)

  • Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI)
  • Patient Health Questionnaire for Depression and Anxiety (PHQ-4)

Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostische Abgrenzung zu Angst und depressiver Störung, gemischt F41.2

  • Keine der beiden Störungen ist eindeutig vorherrschend
  • Keine ist für sich genommen eine eigenständige Diagnose
  • Sind die ängstlichen und depressiven Symptome so stark ausgeprägt, dass sie eine jeweilige Diagnose begründen, dann sollen beide Diagnosen gestellt werden und auf diese Diagnose F41.2 verzichtet werden

Differenzialdiagnostik spezifische Phobie

  • Psychische Erkrankungen
    • Abgrenzung andere Angsterkrankungen
    • Traumafolgestörungen
    • Dissoziative Störungen

  • Komorbidität zwischen Angststörungen (alle Formen) und anderen psychischen Störungen:
    • Komorbide weitere Angststörung
    • Depressionen
    • Somatoforme Störung
    • Abhängigkeitserkrankungen
    • Persönlichkeitsstörungen
    • Essstörungen
    • Zwangsstörung.


 

Therapieoptionen

Generelles Behandlungsvorgehen

  • Aspekte, die bei den möglichen Behandlungsformen zu berücksichtigen sind:
    • Präferenz des Betroffenen
    • Zeitaufwand
    • Wartezeit
    • Entstehende Kosten
  • Betroffenen mit einer spezifischen Phobie soll eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) / Expositionstherapie angeboten werden:
    • Evidenzbasierte Angaben zur notwendigen Dauer der Behandlung sind aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht möglich
  • Ist eine In-vivo-Exposition nicht möglich, sollen Betroffenen mit einer Spinnen-, Höhen- oder Flugphobie eine Virtuelle-Realität-Expositionstherapie, so verfügbar, angeboten werden

Medikamentöse Behandlung

  • Medikamentöse Behandlung
    • Laut der S3-Leitlinie ergab sich aus den vorliegenden Studien kein Nachweis von Wirksamkeit von Medikamenten bei spezifischen Phobien
    • Deshalb keine Empfehlung in der S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen (2021)

  • Therapie bei komorbiden psychischen Störungen
    • Die Therapieform soll so ausgewählt werden, dass die komorbide Erkrankung gleichzeitig mitbehandelt werden kann
    • Bei komorbider Depression soll eine leitliniengerechte antidepressive Therapie erfolgen
    • Häufige psychische Komorbidität:
      • Suchterkrankung
      • Persönlichkeitsstörung
      • Depressionen
      • Weitere Angststörungen
    • Expositionsbehandlungen sind grundsätzlich erfolgversprechend. Erschwert und z.T. weniger erfolgreich sind diese bei vorhandenen Komorbiditäten wie z.B. Traumafolgestörungen

  • Kombinationsbehandlung
    • Es liegen keine hinreichenden Studienergebnisse vor

Psychotherapeutische Behandlung

  • Verhaltenstherapie
    • Betroffenen mit einer spezifischen Phobie soll eine kognitive Verhaltenstherapie unter Nutzung von Expositionstechniken angeboten werden
    • Evidenzbasierte Aussagen über die Dauer der Therapie kann anhand der gegenwärtigen Studienlage nichts gesagt werden

  • Virtuelle-Realität-Exposition
    • Wenn eine in-vivo-Exposition nicht verfügbar oder möglich ist, soll Betroffenen mit einer Spinnen-, Höhen- oder Flugphobie eine Virtuelle-Realität-Expositionsbehandlung angeboten werden

  • Psychodynamische Verfahren
    • Laut der S3-Leitlinie fanden sich keine kontrollierten Studien über psychodynamische Behandlung bei spezifischen Phobien

 
 

Krankheitsverlauf und Prognose

  • Prognose / Krankheitsverlauf aller Angststörungen:
    • Angststörungen, zu denen auch die spezifische Phobie, haben oft einen chronischen Verlauf
    • Ab der 5. Lebensdekade nimmt die Anzahl der Angsterkrankungen deutlich ab
  • Einfluss von Komorbidität psychischen Störungen auf den Verlauf aller Angsterkrankungen:
    • Weitere Komorbidität psychische Störungen, insbesondere Persönlichkeitsstörungen, verschlechtern die Ergebnisse der Behandlung

 

  • Einfluss von Komorbidität körperlicher Erkrankungen:
    • Angsterkrankungen sind über zufällig mit folgenden körperlichen Störungen assoziiert:
      • Schilddrüsenerkrankungen
      • Atemwegserkrankungen
      • Arthritis
      • Migräne
      • Allergieerkrankungen
    • Betroffene mit Angststörungen, die zusätzlich eine schwere körperliche Erkrankung entwickeln, haben ein verstärktes Krankheitserleben:
      • Verstärktes subjektives Leiden
      • Geringeres Copingvermögen
      • Verminderte Lebensqualität
      • Stärkere psychosoziale Einschränkungen